03.08.2017 - 07:55 Uhr | News | Quelle: soccerdonna
«Es ist nicht nur Jones gescheitert»

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Zweimal Europameisterin, zweimal EM-Torschützenkönigin – das sind nur einige Erfolge auf ihrer langen Liste an Titeln. Inka Grings war eine Top-Stürmerin, die in fast zwei Jahrzehnten alles gewann, was es zu gewinnen gibt. Und die 38-Jährige ist bekannt dafür, Klartext zu reden. Christoph Mulitze hat für Soccerdonna.demit der Trainerin der männlichen U17 von Viktoria Köln über das Scheitern der deutschen Nationalmannschaft bei der EM gesprochen.

Soccerdonna.de: Hallo Frau Grings, als wir uns für das Gespräch am vergangenen Samstag verabredet hatten, wollte ich eigentlich mit Ihnen über das Halbfinale Deutschland gegen Österreich reden…

Inka Grings: Tja, ich hatte vorher auch gedacht, dass wir mit Dänemark einen lösbaren Gegner im Viertelfinale erwischt hätten.

Soccerdonna.de: Sind wir auf Grund unserer Überheblichkeit ausgeschieden?

Inka Grings: Nein. Eher aus taktischer Unsicherheit. Aber es gibt noch andere Gründe für das Scheitern.

Soccerdonna.de: Welche sehen Sie?

Inka Grings: Man hatte das Gefühl, dass die Mannschaft während des Turnierverlaufs nicht in ihren Rhythmus fand. Die meisten Spielerinnen sind jung und international noch unerfahren. Für sie kam das Turnier zu früh – zumindest in Verbindung mit der hohen Erwartungshaltung, die ja deutlich kommuniziert wurde. Die Vorgabe lautete: Wir wollen Europameister werden! Für dieses Ziel können unter anderem auch die vielen Rotationen in der Startelf nicht hilfreich gewesen sein.

Soccerdonna.de: War der Kader falsch zusammengestellt?

Inka Grings: Das kann ich pauschal so nicht beantworten, da ich nicht weiß, wie sich die Spielerinnen in der Vorbereitung leistungsgemäß angeboten haben. Bestimmt war es zum Beispiel unglücklich, dass erfahrene Spielerinnen wie Lena Goeßling und Alexandra Popp verletzungsbedingt erst spät dazu stießen oder gar nicht erst dabei waren. Spielerinnen wie etwa Sara Däbritz sind herausragende Talente und werden ihren Weg womöglich gehen. An derartigen Niederlagen wachsen die meisten Spielerinnen. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Die Erwartungen waren zu hoch und passten einfach nicht zu dieser – in weiten Teilen unerfahrenen – Mannschaft. Man darf nicht vergessen: Wir kommen von einem ganz hohen Niveau, waren sechsmal in Folge Europameister. Das immer zu halten, ist sehr schwierig. Nach Olympia-Gold war es dennoch kein Wunder, dass man sich im Vorfeld bei einer EM doch ein bisschen mehr ausgerechnet hatte.

Soccerdonna.de: Dzsenifer Marozsan wurde vor dem Turnier von allen Seiten gelobt. Ist sie ihrer Aufgabe als Kapitänin gerecht geworden?

Inka Grings: Als eine herausragende Spielerin, die sie ist, kann sie mit ihrer Leistung nicht zufrieden sein. Das weiß sie selbst. Vielleicht hat man zu viel von ihr verlangt, vielleicht war die Last als Kapitänin zu groß. Wenn man selbst mit sich beschäftigt ist, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, wo soll da noch der Spielraum herkommen, die anderen mitzuziehen.

Soccerdonna.de: Für all das war Steffi Jones als Cheftrainerin verantwortlich. Bei ihrer Berufung gab es bereits Kritik. Es hieß unter anderem, sie habe keine Erfahrung als Trainerin. Hat die EM den Kritikern Recht gegeben?

Inka Grings: Den Kritikern auf jeden Fall, denn aus deren Sicht sind wir zu früh ausgeschieden. Sie hat mit ihrer Strategie, viel zu wechseln, Lehrgeld gezahlt. Man kann es als zu hohes Risiko werten, mit einem Trainerteam in ein großes Turnier zu gehen, in dem niemand über internationale Erfahrung verfügt. Wenn es gut ausgeht, gibt der Erfolg dem Wagnis Recht. Steffi wird aus ihren Fehlern Rückschlüsse ziehen, da bin ich mir sicher. Sie hat ja selbst immer wieder den Gedanken fokussiert, dass es von vornherein ein Prozess ist, der auch nicht mit dem Titel einer EM endet. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung, dass man aus Fehlern lernen kann.

Soccerdonna.de: Inwiefern?

Inka Grings: Ich bin in meiner ersten Trainersaison mit dem MSV Duisburg aus der Bundesliga abgestiegen. In diesem Jahr habe ich auch Fehler gemacht, mich hinterfragt und einiges korrigiert. Hinterfragen muss man sich immer, auch im Erfolg. Aber die Bereitschaft, etwas Grundlegendes zu ändern, ist meistens leider nach Misserfolgen am größten. So sind wir Menschen nun mal gestrickt.

Soccerdonna.de: Es waren ja nicht nur junge Spielerinnen im Kader, sondern auch welche mit viel internationaler Erfahrung. Was war mit denen los, hätten die nicht vorneweg marschieren müssen?

Inka Grings: Ja natürlich. Man hatte nicht wirklich das Gefühl auf dem Platz, dass jemand das „Heft in die Hand genommen“ hat. Viele Spielerinnen haben es auf ihre Weise versucht, aber die Persönlichkeit wurde vermisst.

Soccerdonna.de: Ist der deutsche Frauenfußball in der Spitze im Moment nicht besser als das, was in den Niederlanden gezeigt wurde?

Inka Grings: Das glaube ich nicht. Die individuelle Klasse ist bei vielen Spielerinnen vorhanden. Im Nachwuchs kommen auch viele großartige Talente nach. Ich mache mir um den deutschen Frauenfußball in den nächsten Jahren keine Sorgen. Aber: Man darf nicht stehen bleiben. Andere Länder haben aufgeholt, wir haben nicht mehr die alleinige Führungsrolle, die wir über 30 Jahre in Europa hatten. Die Talentförderung muss auch in den Vereinen wieder stärker in den Mittelpunkt rücken. Da sehe ich im Moment ein Problem. Genau das konnte man sich in den vergangenen Jahren auch schon bei den letzten beiden Weltmeisterschaften anschauen. Da sind wir auch frühzeitig ausgeschieden. Nicht erst jetzt mit dem Fazit der EM ist ersichtlich, dass wir die fußballerischen Unterschiede auf den Platz bringen müssen. Schaut man sich nur mal den internationalen Vereinsfußball an, da waren unsere Klubs in den vergangenen Jahren auch nicht mehr allzu erfolgreich.

Soccerdonna.de: Welche Konsequenzen muss der DFB aus dem Scheitern bei dieser EM ziehen?

Inka Grings: Er muss die Gründe für das frühe Ausscheiden aufarbeiten, analysieren und dann entsprechend handeln.

Soccerdonna.de: Wird Steffi Jones das frühzeitig EM-Aus im Amt überstehen?

Inka Grings: Ich weiß nicht, welcher Druck dahinter steht. Ich kenne Steffi gut und ich schätze sie sehr. Sie ist emotional und ehrgeizig und wird diese Niederlage ausbügeln wollen. Ich gehe davon aus, dass man an Steffi festhält.

Soccerdonna.de: Wäre das ein Fehler?

Inka Grings: Ich denke nicht, dass es sinnvoll wäre, jetzt schon wieder alles zu verändern. Das Turnier war kein gutes, man muss vieles hinterfragen. Wir haben einen Weg eingeschlagen, hinter dem ein klarer Plan stand, den hat der Verband so gewollt. Es ist ja nicht nur Steffi Jones gescheitert.

Soccerdonna.de: Richten wir mal den Blick vom deutschen Team auf die gesamte EM: Die Ex-Nationaltrainer von Deutschland und Norwegen, Silvia Neid und Even Pellerud, haben die Qualität des Turniers kritisiert. Wie sehen Sie das Niveau?

Inka Grings: Über die spielerische Qualität lässt sich sicherlich streiten. Mir gefällt allerdings das dicht aneinander gerückte Leistungsniveau. Dadurch gibt es mittlerweile spannendere Spiele, Überraschungen und viele knappe Ergebnisse. Die Nationalmannschaften liegen so nah beieinander wie noch nie. Was will man mehr?!

Soccerdonna.de: Inka Grings stand immer für Tore. Sie haben in 96 Länderspielen 64 Mal getroffen, auch bei großen Turnieren. Haben die Stürmerinnen Europas – ich will das gar nicht nur auf Deutschland reduzieren – heute nicht mehr die große Qualität?

Inka Grings: Viele Mannschaften haben in den vergangenen Jahren erfolgreich an ihrem Defensivverhalten gearbeitet. Das war bitter nötig. Die Folge ist, dass nicht mehr so viele Tore fallen. Vielfach wurde darüber aber der Angriff vernachlässigt. Das ist eine einseitige Entwicklung. Tore sind das Salz in der Suppe und somit spielentscheidend. Man sollte das eine tun und das andere nicht lassen, also auch den Sturm wieder mehr in den Trainingsfokus rücken.

Soccerdonna.de: Gibt es eine Stürmerin, die Sie bei der EM besonders positiv überrascht?

Inka Grings: Da muss man ja nur auf die Torschützenliste gucken. Die Engländerin Jodie Taylor liegt mit fünf Treffern klar vorne, danach kommt sehr wenig. Deshalb kann ich nur sie nennen.

Soccerdonna.de: Und welche Mannschaft hat Sie bisher besonders beeindruckt?

Inka Grings: Die Engländerinnen. Sie spielen offensiv, ball- und passsicher und sehr diszipliniert. Das ist sehr schön anzusehen. Die Partie England gegen Spanien war meiner Meinung nach das bisher beste dieser EM. Da hat das Zuschauen richtig Spaß gemacht – nicht nur wegen England. Auch die Spanierinnen haben einen schönen Ball gespielt.

Soccerdonna.de: Wer, denken Sie, wird ins Endspiel kommen?

Inka Grings: Verdient hätte es Jeder. Die Qualitäten dieser Teams liegen in unterschiedlichen Bereichen, die sich untereinander fast neutralisieren werden. Jetzt entscheidet vor allem die Tagesform.

Soccerdonna.de: Und Ihr konkreter Tipp?

Inka Grings: England gegen Österreich.

Soccerdonna.de: Wer das vorher getippt hätte…

Inka Grings:… wäre, bei entsprechendem Einsatz, am Donnerstagabend reich.

Soccerdonna.de: Und wer wird Europameister?

Inka Grings: England. Nein, ich korrigiere: Den Titel holt der Sieger des Halbfinales England gegen Niederlande.

Soccerdonna.de: Sie sind im Juli von einem Frauen-Bundesligisten ins Nachwuchsleistungszentrum zu den Jungs gewechselt. Können Sie schon vergleichen, wo liegen die größten Unterschiede?

Inka Grings: Ja, ich mache das jetzt seit sieben Wochen. Die körperlichen Unterschiede hervorzuheben, ist langweilig. Das ist ja keine besonders neue Erkenntnis. Ansonsten ist es hier wie da Fußball. Was mir aber aufgefallen ist: Die Jungs sind weniger diszipliniert und aufmerksam. Sie lassen alles rumliegen. Den 17-Jährigen muss ich dreimal sagen, was sie machen sollen. Bei den Mädels reicht es ein Mal. Der Ordnungssinn ist bei ihnen ausgeprägter.

Soccerdonna.de: Werden Sie denn auch in der kommenden Saison die Frauen-Bundesliga aufmerksam verfolgen?

Inka Grings: Natürlich. Besonders an den Wochenenden, die für meine Jungs spielfrei sind.

Soccerdonna.de: Wie schätzen Sie die Bundesliga in der kommenden Saison ein?

Inka Grings: Es wird sehr spannend. Interessant ist für mich, wie sich die beiden Aufsteiger präsentieren werden. Sie sind beide vor zwei Jahren auf-, dann sofort gemeinsam wieder abgestiegen, und nun sind beide wieder oben. Ich bin auch gespannt, welche Vereine den frischen Wind auf den Trainerbänken nutzen. Da gab es ja einige Veränderungen, zum Beispiel in Duisburg, Sand und Wolfsburg. Bayern München hat kräftig investiert, aber passt das dort alles zusammen? Vielleicht kommt es zu einigen größeren Verschiebungen in der Tabelle.

Soccerdonna.de: Besten Dank für das Gespräch, Frau Grings, und viel Erfolg mit den Jungs von Viktoria Köln.

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