20.02.2015 - 19:24 Uhr | News | Quelle: Soccerdonna
«Es wird am Ende ganz eng werden»

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Am Sonntag kommt es zum Bundesliga-Spitzenspiel zwischen dem Tabellenzweiten Bayern München und dem Spitzenreiter und Titelverteidiger VfL Wolfsburg. Beide Teams sind noch ungeschlagen. Wer die Begegnung gewinnt, wird im Meisterschaftskampf die besten Karten haben. Ralf Kellermann, dem Trainer und Sportlichen Leiter der Wölfinnen, sprach mit Christoph Mulitze über die anstehende Partie in München, die Entwicklung der Bundesliga und warum er nicht zu einem Männer-Verein wechseln möchte.

Soccerdonna.de: Hallo Herr Kellermann, auch wenn es schon einige Wochen zurückliegt: Herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum Fußballtrainer des Jahres 2014. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?

Ralf Kellermann: Sie ist herausragend. Ich habe mich darüber sehr gefreut, weil sie unsere erzielten Erfolge honoriert. Ich sage «unsere», weil ich es so sehe, dass ich nur stellvertretend für das gesamte Trainerteam geehrt wurde. Es hat diesmal bei der Wahl alles gepasst.

Soccerdonna.de: Schauen wir auf das Wochenende: Am Sonntag kommt es zum Spitzenspiel Ihres VfL beim ebenfalls noch ungeschlagenen Tabellenzweiten Bayern München. Wird das schon eine Meisterschafts-Vorentscheidung bringen?

Ralf Kellermann: Nein, sicher nicht. Selbst wenn wir gewinnen sollten; wir haben mit Bundesliga, DFB-Pokal und Champions League eine dreifache Belastung. Es kommen bald Wochen, in denen regelmäßig im Mittwoch-Sonntag-Rhythmus gespielt wird. Dazu kommt noch der Algarve Cup im Frühjahr, zu dem zahlreiche unserer Spielerinnen fahren. Ich weiß ja gar nicht, wer da vielleicht angeschlagen oder verletzt zurückkommt. Wie das Spiel am Sonntag in München auch ausgeht - es wird am Ende ganz eng werden.

Soccerdonna.de: Bereiten Sie Ihre Mannschaft besonders auf dieses Spiel vor, oder ist das nur ein Spiel wie jedes andere?

Ralf Kellermann: Das Spiel hat natürlich eine besondere Bedeutung, das zeigt allein schon die Tabellenkonstellation. Die Vorbereitung ist deshalb aber nicht anders, wir bereiten uns gezielt auf jeden Gegner vor.

Soccerdonna.de: Wann reisen Sie nach München an?

Ralf Kellermann: Wir reisen immer einen Tag vor dem Spiel an.  

Soccerdonna.de: Mit dem Bus oder fliegen Sie?

Ralf Kellermann: Diesmal fliegen wir hin und fahren mit dem Bus zurück.

Soccerdonna.de: Ist das üblich?

Ralf Kellermann: Nein, bei Bundesligaspielen nicht. Aber das hat nichts mit der Bedeutung der Partie zu tun. Wir haben das so schon im November geplant, als feststand, dass das Spiel nicht auf Eurosport übertragen und deshalb nicht verlegt wird. Auch ein witterungsbedingter Ausfall ist unwahrscheinlich, weil es im Stadion eine Rasenheizung gibt. Da man aber die Straßenverhältnisse insbesondere im Süden in dieser Jahreszeit nicht voraussehen kann, haben wir uns frühzeitig für den Flug entschieden, um bei der Anreise auf der sicheren Seite zu sein.

Soccerdonna.de: Wo sehen Sie die Stärken des FC Bayern, worauf muss Ihr Team besonders achten?

Ralf Kellermann: Bayern hat sich enorm entwickelt. Die Münchener haben sich zielgenau auf den Positionen, die in der vergangenen Saison noch als Schwachstellen ausgemacht werden konnten, super verstärkt. Das Team ist ein spielstarkes Kollektiv und taktisch hervorragend geschult.

Soccerdonna.de: Auf wen werden Sie, nach heutigem Stand, verzichten müssen?

Ralf Kellermann: Die Langzeitverletzten stehen nach wie vor nicht zur Verfügung, also Viola Odebrecht, Laura Vetterlein, Maren Tetzlaff und Nadine Keßler. Zudem sind Babett Peter, Caroline Hansen und Lena Goeßling angeschlagen und konnten in dieser Woche nicht trainieren. Die Entscheidungen werden wohl erst kurzfristig fallen, bei wem es klappt.

Soccerdonna.de: Frankfurt und Potsdam haben bereits sieben Punkte Rückstand auf den Tabellenführer - haben wir seit dem vergangenen Sonntag nur noch einen Zweikampf um den Titel?

Ralf Kellermann: Nein, das denke ich nicht. Man kann davon ausgehen, dass Frankfurt bis zum letzten Spieltag keine Punkte mehr liegen lässt. Auch Turbine schreibe ich noch keinesfalls ab.

Soccerdonna.de: Sie können aus dem Vollen schöpfen, mit Yuki Ogimi und Julia Simic haben Sie weitere Spielerinnen verpflichtet, die einen Anspruch auf einen Stammplatz erheben. Eine Spielerin wie Vanessa Bernauer, die eine starke Hinrunde spielte, wurde zuletzt gegen Bayer Leverkusen nur eingewechselt. Droht da möglicherweise Unruhe im Team?

Ralf Kellermann: Nein, wir werden, wie schon erwähnt, im Frühjahr anstrengende Wochen mit vielen Spielen haben. Da möchte ich die Möglichkeit haben, rotieren zu können. Ich weiß, dass ich alle Spielerinnen brauchen werde, und das vermittele ich ihnen auch.

Soccerdonna.de: Insbesondere der Zugang von Simic vom Meisterschaftsmitkonkurrenten Turbine Potsdam wird von den Fans viel diskutiert. Was hat es mit diesem Zugang konkret auf sich?

Ralf Kellermann: Uns wurde Julia Simic im vergangenen November angeboten. Es hatte uns schon etwas gewundert, dass sie in der Winterpause wechseln konnte. Da bei uns Nadine Keßler und Viola Odebrecht längere Zeit ausfielen, war uns klar, dass wir im Mittelfeld etwas unternehmen mussten.

Soccerdonna.de: Es wird in Fan-Kreisen gemunkelt, der Simic-Transfer könnte ein Fingerzeig auf einen Abgang von Keßler zum Saisonende sein.

Ralf Kellermann: Das habe ich auch mitbekommen. An diesem Gerücht ist aber nichts dran.

Soccerdonna.de: Gehen Sie also davon aus, dass Keßler über das Saisonende hinaus in Wolfsburg bleiben wird?

Ralf Kellermann: Ja. Die Gespräche dazu laufen.

Soccerdonna.de: Ist die Bundesliga heute insgesamt stärker als vor zwei oder drei Jahren?

Ralf Kellermann: Ja. Sie ist definitiv ausgeglichener geworden. Wir haben am vergangenen Wochenende zum Bespiel gegen Leverkusen 5:0 gewonnen. Das klingt nach einem klaren Sieg. So deutlich war das aber gar nicht, in der ersten Halbzeit bewegten sich beide Mannschaften nahezu auf Augenhöhe. Wenn wir gegen Mannschaften ab Platz fünf nicht zu 100 Prozent konzentriert sind, kann das inzwischen auch mal ins Auge gehen.

Soccerdonna.de: Andererseits hat Ihr VfL nach 14 Spielen erst ein Gegentor kassiert. Das ist  Bundesligarekord. Sind die anderen Mannschaften im Angriff doch so schlecht oder ist Ihre Abwehr so gut?

Ralf Kellermann: Weder noch. Wir haben zwar mit Nilla Fischer die für mich derzeit beste Abwehrspielerin der Welt, aber wichtig ist das Kollektiv, das Defensivverhalten der ganzen Mannschaft. Alle müssen sich hundertprozentig an das Konzept halten und gegen den Ball arbeiten. Das setzt eine hohe Laufbereitschaft voraus. Jede Spielerin weiß, dass ich darauf großen Wert lege. Schauen Sie sich - beispielhaft für alle - das Pensum der Stürmerinnen Alexandra Popp und Martina Müller an.

Soccerdonna.de: Erwarten Sie Bayern München als den künftigen großen Dauerrivalen Ihres Clubs, oder wird es eher doch wieder auf einen Mehrkampf hinauslaufen?

Ralf Kellermann: Ich hoffe, dass es ein Mehrkampf bleiben wird. Bayern München wird auf jeden Fall dazu gehören. München ist für Spielerinnen sehr attraktiv.

Soccerdonna.de: Wie wird sich die Frauen-Bundesliga denn allgemein in fünf Jahren entwickelt haben?

Ralf Kellermann: Ich denke, sie wird die gleiche Anzahl an Mannschaften haben wie heute. Qualitativ wird sie noch enger zusammenrücken. Die Aufsteiger werden bessere Chancen auf den Klassenerhalt haben, weil sich auch die Strukturen im Unterbau verbessern werden. Es wird nach wie vor einen Mix geben aus reinen Frauenfußball-Vereinen und Mannschaften, die zu Männervereinen gehören. Das Stammpublikum wird sich sukzessive vergrößern, so wie auch die Präsenz in den Medien.

Soccerdonna.de: Vor zwei Jahren das Triple, in der vergangenen Saison erneut Deutscher Meister und Champions-League-Sieger, nun liegen Sie wieder in allen drei Wettbewerben gut im Rennen. Der VfL Wolfsburg ist im europäischen Frauenfußball das Maß aller Dinge. Was machen Sie anders als zum Beispiel Olympique Lyon, der 1.FFC Frankfurt und Paris St. Germain?

Ralf Kellermann: Das vermag ich nicht zu beurteilen. Einiges konnte man aber in unserem Champions-League-Finale gegen Lyon sehen. Lyon hatte die besseren Einzelspielerinnen, deren Spiel sah sicher auch schöner aus. Wir aber haben gewonnen, weil wir das bessere taktische Konzept hatten. Ich habe da schnell eine gewisse Ratlosigkeit bei den gegnerischen Spielerinnen, aber auch beim Trainerkollegen gesehen. Sie hatten offensichtlich keinen Plan B. Die Wechsel waren positionsgetreu, es war von Anfang an nur ein Spielverlauf für sie denkbar. Das hatte mich gewundert. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass wir in der Bundesliga mehr gefordert werden. Lyon spielt in Frankreich immer gleich, weil sie außer Paris keinen echten Gegner haben. In allen Spielen geht es nur um die Höhe des Sieges. Wer im direkten Duell zwischen Lyon und Paris gewinnt, holt auch die Meisterschaft.

Soccerdonna.de: Was ist denn mit der Zusammensetzung des Kaders?

Ralf Kellermann: Auch die spielt eine wichtige Rolle. Ich achte sehr genau auf die Charaktereigenschaften einer Spielerin. Wir beobachten eine für uns interessante Spielerin nicht nur mehrmals, sondern ich führe vor einer Verpflichtung auch so viele Gespräche wie nötig, um eine Entscheidung treffen zu können. Neue Spielerinnen müssen ins Team passen. Wenn ich da Zweifel habe, nehme ich lieber Abstand von einer Verpflichtung. Natürlich liege ich da auch mal falsch, das ist schon vorgekommen. Aber je mehr man sich vorher mit einer Spielerin beschäftigt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer Fehlverpflichtung.

Soccerdonna.de: Wo kann der VfL Wolfsburg seine Strukturen im Frauenfußball noch verbessern, wo sehen Sie noch Optimierungspotenzial?

Ralf Kellermann: Die sportliche Entwicklung lasse ich mal raus, da muss man sich permanent weiterentwickeln. Wir haben viele Spielerinnen, die nebenbei noch arbeiten oder studieren. Daher haben wir ungewöhnliche Trainingszeiten: morgens um 8.30 Uhr und nachmittags um 17 Uhr. Wir sind keine Profis, das ließe sich verändern. Wobei ich den aktuellen Weg absolut unterstütze: Es ist gut für die Persönlichkeitsentwicklung, wenn die Spielerinnen einem Job nachgehen. Sie übernehmen dadurch Verantwortung und bemühen auch ihren Kopf. Ein weiterer Aspekt ist, dass sie auch die Zeit nach dem Fußball nicht aus dem Blick verlieren dürfen.

Soccerdonna.de: Könnten Sie denn eine Spielerin, die auch die französischen Spitzenclubs wollen, die extrem gut bezahlen, nach Wolfsburg locken?

Ralf Kellermann: Ich habe ein bestimmtes Budget, mit dem ich arbeiten kann. Es ist meine Entscheidung, ob ich damit einen 16-er oder einen 22-er Kader unterhalte. Der Weg des VfL ist das aber nicht. Wir würden uns die über Jahre entwickelte Struktur des Kaders damit kaputt machen.

Soccerdonna.de: Sie stammen aus Duisburg, haben für den MSV im Tor gestanden und einige Spiele in der 2. Liga absolviert. Sind die Duisburger Frauen nach dem Beitritt des FCR zu den Zebras in der Bundesliga deshalb ein besonderer Gegner für Sie?

Ralf Kellermann: Spiele gegen Duisburg sind und waren für mich immer etwas ganz Besonderes. Ich bin in Meiderich aufgewachsen und immer mit dem Fahrrad zum Training gefahren. Meine Mutter lebt noch in Duisburg und ich bin regelmäßig dort. Wir waren der erste Gegner der Duisburgerinnen nach dem Übertritt zum MSV beim Hallencup vor einem Jahr. Die Zebratrikots zu sehen, war ein schönes Gefühl.

Soccerdonna.de: Sie haben vor ungefähr einem halben Jahr in einem Interview mit einer Tageszeitung gesagt, dass Sie Ihre Chancen gering einschätzten, einmal Trainer eines Profiteams bei den Männern werden zu können. Würden Sie das, nach der FIFA-Wahl zum Welt-Frauentrainer, so immer noch sagen?

Ralf Kellermann: Bis zur 4.Liga wird sich kein Vereinsverantwortlicher trauen, einen Trainer einzustellen, der bisher vor allem Frauen trainiert hat. Das Risiko ist einfach zu groß, dass das schief geht und man sich angreifbar macht. Ich hätte durch meine Kontakte vielleicht die Möglichkeit, in ein Trainerteam einer höherklassigen Männermannschaft einzusteigen. Aber warum sollte ich so einen Schritt momentan gehen? Ich habe einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Sportlicher Leiter und mir in den letzten zehn Jahren hier einiges aufgebaut.

 Soccerdonna.de: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kellermann.

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