08.02.2012 - 09:33 Uhr | News | Quelle: Soccerdonna | von: Christoph Mulitze
Marco Ketelaer: «Jetzt erst recht!»

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In der Winterpause wurde der FCR 2001 Duisburg kalt erwischt: Drei Führungsspielerinnen haben angekündigt, dass sie zum Saisonende den Meisterschaftsanwärter verlassen werden. Der Duisburger Trainer Marco Ketelaer (42) sprach im Interview mit Christoph Mulitze über die Auswirkungen auf den diesjährigen Titelkampf und seine Personalplanungen für die kommende Saison.

Soccerdonna.de: Hallo Herr Ketelaer, haben Sie schon Glückwünsche zur deutschen Meisterschaft nach Potsdam geschickt?

Marco Ketelaer: Nein, warum?

Soccerdonna.de: Nach dem verkündeten Abschied von Alex Popp, Luisa Wensing und Simone Laudehr zum Saisonende dürfte die Stimmung in Ihrem Team, dem Verfolger Nummer eins von Tabellenführer Turbine Potsdam, auf dem Nullpunkt sein.

Marco Ketelaer: Im ersten Moment waren die Mitspielerinnen schockiert und sehr traurig. Das war emotional, es sind auch Tränen geflossen. Aber es kam schnell das Signal von allen: Wir sind bis zum letzten Spieltag eine Mannschaft und haben gemeinsame Ziele. Ich hoffe auf eine Trotzreaktion: Jetzt erst recht!

Soccerdonna.de: Was haben Sie zuerst gedacht, als Ihnen die drei Spielerinnen mitteilten, dass sie den Verein verlassen werden?

Marco Ketelaer: Ich war unheimlich enttäuscht. Popp, Laudehr und Wensing sind ja nicht irgendwelche Spielerinnen. Sie haben viel Potenzial und sind meinungsstarke Spielertypen, wie es sie nicht oft gibt: Man kann bei ihnen anecken und sich an ihnen reiben. Solche Charaktere braucht eine Mannschaft. Ich hatte mit den Dreien auf Jahre geplant.

Soccerdonna.de: Hatten Sie nicht damit gerechnet, dass die Spielerinnen gehen könnten?

Marco Ketelaer: Doch, das war natürlich immer eine Option. Die Stimmung in den vergangenen Monaten war aber so, dass ich einen Verbleib für wahrscheinlich gehalten hatte. Gerade bei Poppi, die beim Hallenmasters Kapitänin war. Da deutete nichts in ihrem Verhalten auf Abschied hin.

Soccerdonna.de: Sind Sie sauer?

Marco Ketelaer: Nein. Nur enttäuscht. Der Verein hat aber alles versucht, um sie zu halten. Es hat leider nicht gereicht.

Soccerdonna.de: Bei Popp und Wensing hieß es, das Gesamtpaket von Wolfsburg sei besser gewesen. Was steckt konkret dahinter?

Marco Ketelaer: Ohne Zahlen zu kennen, waren wohl die Komponenten Finanzen und berufliche Perspektive bei Wolfsburg besser. Die Tendenz geht bei vielen Spielerinnen dahin, auch an die berufliche Entwicklung zu denken und frühzeitig zweigleisig zu fahren. Das ist durchaus verständlich.

Soccerdonna.de: Der sportliche Aspekt sprach sicherlich nicht für einen Wechsel nach Wolfsburg...

Marco Ketelaer: Nein, wir stehen auf Platz zwei in der Bundesliga, befinden uns im DFB-Pokal-Halbfinale und haben gute Chancen, in der nächsten Saison wieder in der Champions League zu spielen.

Soccerdonna.de: Wie waren die Reaktionen im Umfeld des FCR Duisburg?

Marco Ketelaer: Es herrschte Entsetzen, die Jugendlichen in Duisburg waren schockiert. Besonders Poppi ist ein fannahes Idol und unglaublich populär. Das war auch beim Hallenmasters zu sehen: Neben Lira Bajramaj stand sie im Mittelpunkt der Fans und Medien. Sie hatten keine freie Minute, schrieb Autogramme, ließ sich mit Fans fotografieren und gab unzählige Interviews. Die drei Mädels werden uns in Duisburg fehlen. Um es deutlich zu sagen: Niemand ist verärgert. Aber alle sind traurig.

Soccerdonna.de: Wie ordnen Sie die Transfers nicht als betroffener Trainer des FCR, sondern als Freund und Experte des Frauenfußballs? Tut der Wechsel der Entwicklung dieses Sports hin zu einer Professionalisierung gut?

Marco Ketelaer: Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn nicht mehr nur zwei Teams an der Spitze stehen. Professionalisierung heißt: Es muss mehr in die Breite als in die Spitze gehen. Die Bundesliga muss ausgeglichener werden, da sind wir in diesem Jahr auf einem guten Weg. An einem guten Tag kann fast jeder jeden schlagen.

Soccerdonna.de: Das passiert aber nicht, wenn alle Topspielerinnen nur bei zwei, drei Vereinen kicken.

Marco Ketelaer: Es kommt nicht nur auf die Individualität an. Entscheidend ist, dass man es als Trainer schafft, eine Mannschaft, eine Einheit zu formen. Dann kann man auch mit qualitativ nicht so starken Einzelspielerinnen erfolgreich sein.

Soccerdonna.de: Was erwarten Sie nun von anderen Leistungsträgerinnen wie Annike Krahn, Kozue Ando oder Mandy Islacker, deren Vertrag im Sommer ausläuft? Muss man ernsthaft damit rechnen, dass sie auch den Verein verlassen?

Marco Ketelaer: Ich bin darauf bedacht, dass diese Spielerinnen bleiben. Der FCR kennt meinen Wunsch. Das wäre auch ein Signal nach außen.

Soccerdonna.de: Blicken wir auf die kommende Saison: Wie wird der Kader des FCR aussehen?

Marco Ketelaer: Auch wenn die Spielerinnen, deren Vertrag endet, bleiben, müssen wir zulegen: Erstens war in dieser Saison unser Kader schon quantitativ dünn. Zweitens müssen wir versuchen, Laudehr, Popp und Wensing gleichwertig zu ersetzen.

Soccerdonna.de: Welche Art Spielerinnen haben Sie im Fokus?

Marco Ketelaer: Mit Martens haben wir hohe Qualität bekommen, das zeigt sich schon im Training. Ich setze mal voraus, dass Krahn, Ando und Islacker bleiben. Dann müssen zwei bis drei Spielerinnen hinzustoßen, die uns sofort helfen und die Führung übernehmen. Vier bis fünf Talente möchten wir auch wieder verpflichten.

Soccerdonna.de: Haben Sie konkrete Namen im Kopf?

Marco Ketelaer: Ja, ich habe meine Wünsche frühzeitig, schon im vergangenen Jahr, unserem Sportdirektor Claudio Marcone mitgeteilt. Er hat die Liste um internationale Namen ergänzt.

Soccerdonna.de: Stehen auch aktuelle deutsche Nationalspielerinnen auf der Liste?

Marco Ketelaer: Ja.

Soccerdonna.de: Welche Positionen möchten Sie besetzen?

Marco Ketelaer: Primär geht es um die linke und die rechte Abwehrseite und um die Offensive.

Soccerdonna.de: Durch die Abgänge haben junge Spielerinnen aus dem zweiten Glied nun die Chance, sich in den Vordergrund zu spielen. Von wem erwarten Sie in der nächsten Saison den größten Leistungssprung?

Marco Ketelaer: Laura Neboli hat den Sprung in die Bundesliga schon in dieser Saison geschafft und sich etabliert. Sie ist sehr ehrgeizig und hat noch viel Potenzial. Gülhiye Cengiz kann den Sprung in die Stammelf schaffen. Jackie Groenen hat den Anspruch, auf der Zehn zu spielen. Sie besitzt individuelle Klasse, die sie allerdings noch in die Mannschaft einfließen lassen muss. Jackie muss auch physisch noch nachlegen. Ich denke, wir bringen sie auf einen guten Weg.

Soccerdonna.de: Wer wird der Kopf der Mannschaft sein, wer hat das Zeug zur Führungsspielerin?

Marco Ketelaer: Das wird eine heiße Aufgabe. Wir haben viele Teamplayer in der Mannschaft, aber Führungsspielerinnen müssen Reibungspunkte setzen, auch mal anecken. Da sehe ich aus dem derzeitigen Kader nur Krahn, sofern sie uns erhalten bleibt, und Linda Bresonik. Weitere Kandidatinnen stehen auf der Liste der zu verpflichtenden Spielerinnen.

Soccerdonna.de: Wie wird der Frauenfußball in Duisburg in den nächsten Jahren aussehen, bleibt der FCR ein Spitzenteam?

Marco Ketelaer: Ja, das bleibt unser Anspruch und meine Zielsetzung.

Soccerdonna.de: Die finanziellen Probleme des FCR sind bekannt. Eine Fachzeitschrift hatte vor etwa einem Jahr mal darüber spekuliert, der FCR könne sich dem MSV Duisburg anschließen. Ist das eine realistische Option?

Marco Ketelaer: Es gibt da verschiedene Richtungen im Verein. Die einen setzen auf Eigenständigkeit und die Tradition des Frauenfußballs, die anderen sind bereit, das aufzugeben, um die bessere Infrastruktur eines Männervereins nutzen zu können.

Soccerdonna.de: Und wer wird sich durchsetzen?

Marco Ketelaer: Ich gehe davon aus, dass die Tendenz in Richtung Eigenständigkeit geht. Vielleicht werden wir mit dem MSV mehr kooperieren. Da gab es schon einige Aktionen wie etwa eine gemeinsame Pressekonferenz vor einem Spieltag.

Soccerdonna.de: Haben Sie in den vergangenen Tagen mal kurz daran gedacht, alles hinzuschmeißen?

Marco Ketelaer: Nö. Warum sollte ich?! Ich bin motiviert und habe Ziele: Wir wollen in der Meisterschaft oben dran bleiben und uns für die Champions League qualifizieren. Im DFB-Pokal können wir als Halbfinalist auch noch alles erreichen.

Soccerdonna.de: Ihr Vertrag endet im Sommer. Wird der Trainer des FCR auch in der kommenden Saison Marco Ketelaer heißen?

Marco Ketelaer: Wir sind im Gespräch, die Wahrscheinlichkeit ist groß.

Soccerdonna.de: Vielen Dank fürs Gespräch, Herr Ketelaer, und alles Gute.

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