22.03.2020 - 13:22 Uhr | News | Quelle: soccerdonna | von: Chefredakteur
Corona und die Fußballwelt: Ein Kommentar und Appell

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Leider ist dieser Tage nicht das runde Sportgerät Hauptgesprächsthema der einschlägigen Medien, sondern ein kleiner ebenso runder Geselle geht uns allen auf den Geist und unter die Haut: SARS-CoV-2 oder besser bekannt als der Corona-Virus. Es ist erstaunlich, wie schnell ein so kleiner Erreger die große, weite und moderne Welt ins Wanken bringt. Und obwohl er bereits zu einer weltweiten Pandemie geworden ist, die viele Ereignisse des öffentlichen Lebens zum Stillstand bringt und uns alle zum Innehalten und Umdenken zwingt, gibt es Menschen da draußen, die das Problem offenbar nicht verstanden haben. So lässt sich bei RP-Online ein Bericht finden, dessen Inhalt uns schier unbegreiflich ist. Während die meisten Ligen bereits den Spielbetrieb eingestellt haben, die Saisoneröffnung verschoben haben oder noch ein letztes Mal vor Geisterkulisse spielen, sieht ein altgedienter Staatsmann eine andere Welt. „Ich nenne dieses Corona-Virus nicht anders als eine Psychose und lasse mich auch nicht davon abbringen“, sagte Alexander Lukaschenko, der Präsident Weißrusslands, in dieser Woche. „Die zivilisierte Welt ist verrückt geworden, und die Politiker haben schon damit angefangen, die Situation für ihre Interessen auszunutzen.“ Es sei eine „absolute Dummheit“, etwa Grenzen zu schließen. Gegen diesen europäischen Trend des Einschließens und Abschaltens ist der Fußball in Weißrussland trotz Covid-19-Pandemie planmäßig in die Meisterschaft gestartet – mit Fans auf den Stadiontribünen. Angeblich habe Weißrussland bislang nur 70 Corona-Fälle und keine Toten zu beklagen, daher bezeichnete Lukaschenko auch die Maßnahmen der europäischen Welt als pure Panikmache. Der Nachrichtenagentur Belta zufolge, gäbe es keinen Grund, drakonische Maßnahmen zu ergreifen.. Offenbar sehen es einige seiner Landsleute ebenfalls so, immerhin kamen 730 Zuschauer zum Eröffnungsspiel. Bei einem der Folgespiele kamen laut Presseberichten sogar über 1400.
Wir finden: Unverantwortlich!

Die Fifa hingegen versucht, die Gunst der Fußballfans nicht zu verlieren. Nachdem die großen Turniere des Jahres verschoben werden mussten und auch Olympia auf der Kippe steht, öffnet das Fifa-Archiv seine Pforten und lässt einige Filmperlen der Fußballkunst ans Tageslicht rollen. Eine Art Methadon-Programm für die Fußballabhängigen da draußen, die derzeit an das heimische Habitat gebunden sind und mit Stoff versorgt werden müssen, aus dem die Sommermärchen sind. Insgesamt 30 laut Fifa "unvergessliche" WM-Spiele von Männern und Frauen sind seit Samstag erstmals in voller Länge auf fifa.com, dem Fifa-YouTube-Kanal und dem chinesischen Dienst Weibo zu sehen. Zuschauer können während der Spiele miteinander chatten und in Sozialen Medien für ihren besten Moment stimmen. Es wird auch Dokumentationen und Interviews mit berühmten Spielern und Trainern geben.
Wir finden: Prima.
Gibt schlimmeres! Zum Beispiel zu erfahren, dass Menschen dem Virus erlegen sind. So fühlt man sich plötzlich einer iranischen Futsal-Spielerin verbunden, von der man – ich gebe es zu – zuvor nichts gewusst hatte. Empathie macht sich breit und man fühlt mit den Hinterbliebenen. Und dann gibt es noch die Ungewissheit, das Schlimmste allen Übels, nicht zu wissen: Wohin führt das noch? Und während man sich das fragt, da wird das runde Sportgerät plötzlich zur gänzlichen Nebensache. Man denkt an die Menschen, hinter den Vereinsnamen, die einzelnen, die auf, neben und hinter dem Feld ihren täglichen Einsatz für ihre und unsere Leidenschaft Fußball bringen und auch, wenn wir sie gelegentlich auf Sockel und Podeste hieven, doch nur zerbrechliche kleine Menschen bleiben, die genauso mit Krankheiten und Schicksalsschlägen zu kämpfen haben wie jeder von uns Menschen dort draußen. Und doch erfahren wir durch die Medien eher von zehn Juve-Spielerinnen in Quarantäne als von Oma Erna in Buxtehude. Doch sind „Promis“ mehr wert?
Wir finden: Nein. Ein Menschenleben bleibt ein Menschenleben.
Als Philosoph denke ich oft über Sinn und Unsinn nach und ja, ich versuche zu verstehen, was diese Krise Gutes an sich hat. Sicher nicht die Toten, die Kranken und ängstlich Bangenden. Auch nicht die geschlossenen Grenzen, geschlossenen Lokale und Spielstätten. Ebenso wenig die Panik- und Hamsterkäufe oder die Ignoranz einiger weniger. Das Gute liegt irgendwo in diesen Dingen oder besser gesagt wächst es aus ihnen heraus. Man kommt etwas zur Ruhe, wird aus dem alltäglichen Trott gerissen und hat Zeit zu denken. Die Grenzen sind zu und man wird isoliert und doch fühlt man sich anderen über die Grenzen hinaus verbunden, weil viele ein gemeinsames Schicksal tragen. Lokale und Spielstätten sind geschlossen und doch findet man Wege, um mit anderen zu kommunizieren, und bleibt sich nah. Wir lernen – über uns, unser Leben, unser Umfeld. Wir erkennen – was wichtig ist und worauf man, wenn die Zeiten wieder besser sind, auch mehr Zeit und Energie verwenden sollte. Die Familie, die Freunde, die Kollegen – aber auch die Fremden, die man noch nicht kennt. Es sind die Menschen, die uns ausmachen und unser Verhalten ihnen gegenüber. Nicht der Fußball, nicht die Politik oder ein gemeinsamer Feind, auch wenn dies alles ein Teil des Ganzen ist.
Bleibt gesund! Seid bescheiden! Respektiert einander! Und gönnt auch dem Nachbarn sein Klopapier, er braucht es vielleicht dringender, weil er noch Panik schiebt. Nutzt die Zeit daheim und spielt, bastelt, trainiert – beschäftigt euch und bewahrt euren Humor, denn er bewahrt euch vor Schlimmerem.
Vor allem aber: Bleibt SoccerDonna – und helft uns, die Seite noch besser zu machen, auch wenn es vielleicht keine Spiele in dieser Saison mehr geben wird – es gab genug in der Vergangenheit, die noch eingetragen werden müssen und wir nutzen derzeit die kleine Atempause der Fußballwelt, um die Historien zu pflegen und Datenlücken zu schließen. Ihr dürft uns dabei gern unterstützen, wenn euch im Homeoffice oder der Quarantäne die Decke auf den Kopf fällt. In diesem Sinne: Haltet durch, helft einander, bewegt etwas und wir werden das überstehen – und dann dreht sich die Welt auch irgendwann wieder um Königin Fußball. (ssc)

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