08.07.2011 - 10:46 Uhr | News | Quelle: dpa
Frauen und Taktik - Steinzeit oder Moderne?

-
Hauptsache modern oder Hauptsache erfolgreich? «Die Sache ist doch ganz einfach», sagt Kleiton Lima, Trainer der brasilianischen Frauen-Nationalmannschaft. «Ich habe kaum gute Abwehrspielerinnen, dafür aber viele gute Kräfte im Mittelfeld zur Verfügung.» Also spielt der Topfavorit bei der WM ganz klassisch mit Libero hinter der Innenverteidigung - und fuhr mit dieser von vielen als «Steinzeittaktik» verspotteten Spielweise prompt den Gruppensieg ein. «Solange es erfolgreich ist, sehe ich auch keinen Grund, etwas an unserem System ändern zu müssen», stellt Lima klar.

«Stimmt», sagt der Frauenfußball-Experte und ehemalige deutsche Nationaltrainer Gero Bisanz. «Otto Rehhagel ist 2004 mit Griechenland auch Europameister geworden - mit Libero.» Außerdem sei das bei den Brasilianerinnen kein ganz klassisches Liberospiel - ein bisschen Variation und Anpassung könne er schon erkennen. Von anderen Seiten hagelte es dagegen Häme und Kritik: «Taktisch hat man im modernen Fußball damit nicht mehr so viel zu tun. Das ist ein ungewöhnlicher Stil im modernen Fußball», stichelte der australische Trainer Tom Sermanni. Die «Süddeutsche Zeitung» spöttelte, der Libero gelte doch als «mindestens so ausgestorben wie der Brontosaurus».

Und auch Ex-Nationaltrainer Bisanz gibt zu, dass das Spiel der Brasilianerinnen ganz so schön nicht anzusehen war. Bei einigen anderen WM-Teilnehmern rumpele es technisch ebenfalls noch gewaltig. «Die afrikanischen Mannschaften laufen zum Teil noch sehr, sehr durcheinander.» Trotzdem stellt Bisanz insgesamt fest: «Die taktischen Grundordnungen der Frauen haben sich denen der Männer angepasst. Bei den Männern sieht natürlich einiges gekonnter aus, weil sie einfach schon viel länger trainieren, aber das gleicht sich bei den Frauen jetzt langsam an.»

Die 16 Mannschaften des Turniers sieht der Experte auf unterschiedlichem taktischen Niveau. «Einige Länder sind einfach noch im Aufbau.» Eine Weltmeisterschaft wie diese werde als eine Art Leistungsmesse zum Austausch genutzt. «Man sieht jetzt schon, dass es die gleiche Richtung wie bei den Männern nehmen wird, hin zu einem modernen Fußball, bei dem jeder immer anspielbereit ist.»

Deutschland liege mit seiner Taktik ganz weit vorne, sagt Bisanz, der mit der Nationalmannschaft in seiner Zeit als Trainer zwischen 1982 und 1996 drei Europameistertitel gewann. «Ich habe damals versucht, ein Fundament zu bauen und seitdem hat es auch unter meinen Nachfolgerinnen einen ganz linearen Aufbau nur mit ein paar kleinen Dellen gegeben. Mehr kann man für diese Zeit nicht verlangen.»

Voraussetzungen für eine schöne und erfolgreiche Taktik seien vor allem Fitness, Ausdauer und Disziplin. Mannschaften wie Deutschland, die USA, Schweden, Frankreich und England seien da Vorreiter. «Die spielen aus einer Grundordnung heraus und kehren nach einem Ballverlust sofort zurück.» Nigeria sicherte sich zur technischen Verbesserung jüngst die Beratungsdienste des deutschen Trainers Thomas Obliers. Auch andere Teams seien auf einem guten Weg. «Bei Japan sieht der ein oder andere Spielzug schon ganz toll und gewollt aus.»

Bei einigen Mannschaften sieht Experte Bisanz allerdings zumindest vorläufig schwarz. «Nordkorea, zum Beispiel, spielt Fußball, der auf volles Tempo ausgerichtet ist, mit und ohne Ball. Die rennen mit dem Ball nach vorne und dann wissen sie nicht mehr, wo ihre Mitspielerinnen sind. So spielen sie keine Torchancen heraus und sie bringen auch keine Ruhe ins Spiel - außerdem sind sie dann in der zweiten Hälfte platt.»

Aber auch die beste Taktik ist noch lange keine Garantie auf den Weltmeistertitel. «Man hat gesehen, wie schwer es für die deutsche Mannschaft war, beispielsweise gegen Nigeria zu spielen - weil man die so schlecht einschätzen kann, eben gerade weil die so wenig Taktik haben», sagt Bisanz. «Aber wenn die deutsche Mannschaft ihr Potenzial abruft und ihr Selbstbewusstsein auf den Platz bringt, dann könnte das was werden - gegen Japan und mit dem Titel.»



Relevante Links

Social Bookmarking

Auf Facebook teilen