24.04.2020 - 03:04 Uhr | News | Quelle: Guardian / akeza.net | von: Chefredakteur
Frauenfußball in Burundi – Mehr als nur Spaß am Spiel

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„Die Ehe kann warten“, sagt Sakina Saidi, Starstürmerin der Ligasiegerin Fofila, denn Fußball bietet Frauen in Burundi eine Möglichkeit, sich Respekt zu verdienen - und bares Geld

„Miss Saidi“ ist eines der vielversprechendsten Talente im Frauenfußball in Burundi. Die hochgewachsene kraftvolle Spielerin überzeugt auf vielen Gebieten. Normal werden große Spielerinnen aufgrund ihres Gewichts als unbeweglich und langsam im Spiel wahrgenommen. Sakina Saidi hingegen beeindruckt trotz ihrer Körpermasse auch technisch am Boden. Ihre Ausdauer und Schnelligkeit im Zweikampf sowie ihre Vorausschau im Spiel machen sie zu einer außergewöhnlichen Stürmerin. Die Mittelstürmerin, die seit 2016 in den Reihen des burundischen Rekordmeisters FOFILA PF aus Ngozi spielt, hat sich trotz widriger Umstände zu einer Ausnahmespielerin entwickelt.

Sakina wird 1996 im Distrikt Cibitoke in der Provinz Bujumbura Mairie als jüngstes von acht Kindern geboren. Bereits in ihrer Kindheit entdeckt sie ihre Liebe zum Fußball und spielt zunächst wie viele Mädchen in gemischten Teams. Von den Jungen in Ihrem Alter fühlt sie sich stets inspiriert und angespornt. „Ich fühlte mich so motiviert, dass ich mich ihrem Team anschließen wollte – ich wollte so spielen wie sie, wollte so gut werden, wenn nicht besser.“, erinnert sie sich.

Es ist 2013 als Sakina mit 17 Jahren beschließt, sich einen Verein zu suchen, um ihrer Liebe zum Fußball Leben einzuhauchen. Ein großes Hindernis dabei: ihre Eltern, die keine Begeisterung für den Enthusiasmus ihrer Tochter zeigen, die sich für dieses sogenannte 'Männer' -Spiel begeistert. „Sie wollten mich nicht Fußball spielen sehen. Sie haben immer wieder versucht, mir den Weg zu versperren, sie haben mich oft dafür verprügelt, aber ich wurde nie müde. Ich habe es weiter versucht “, sagt Sakina. Es ist der Zweitligist C.S.A. (Cercle Sportif Amitié) aus Gatumba, der sie aufnimmt. Sie verbringt zwei Spielzeiten, in denen ihr ihre Leidenschaft große Erfolge einbringt: zweimal wird sie die beste Torschützin in der Zweitligameisterschaft Burundis. Dann ist es soweit: Der Erstligist Fofila PF ist auf sie aufmerksam geworden und ist von der Finesse und der Ballbehandlung so begeistert, dass sie einen Vertrag angeboten bekommt. Sie ergreift die ihr angebotene Chance und unterschreibt. Alles läuft hervorragend, doch es zeigen sich die Schattenseiten des burundischen Fußballs.

Es ist 2016. Sakina Saidi erwacht mit einem Gefühl der Angst im Haus ihres Vaters in Gatumba, Westburundi. Sie hat sich einen Muskel in ihrem Oberschenkel gezerrt und will morgen nicht ihr erstes Ligaspiel spielen. Aber wenn sie nicht spielt, wird sie nicht bezahlt. Und sie wird ihre Mannschaft, Fofila, im Stich lassen, die mit ihr auf dem Platz bislang nicht verloren hat. Saidi ist jetzt Stürmerin in einer der sechs Frauenfußballmannschaften der ersten Liga in Burundi, die angesichts der Turbulenzen in der politischen Krise des Landes einen kleinen Hoffnungsschimmer bieten. Sie zieht ihre Ausrüstung an, packt ihre Stiefel und reist drei Stunden lang auf der Ladefläche eines Pickups nach Ngozi, der Heimatstadt des Präsidenten, wo sich ihr Team befindet und wo sie am nächsten Tag spielen sollen. Die Popularität des Frauenfußballs in Burundi hat trotz einer Krise, die Straßenproteste, einen Putschversuch, außergerichtliche Morde und Granatenangriffe in der Hauptstadt Bujumbura ausgelöst hat, angedauert. Ungefähr 240.000 Menschen sind seit April in die Nachbarländer geflohen, als Präsident Pierre Nkurunziza sagte, er werde trotz einer verfassungsmäßigen Beschränkung auf zwei Amtszeiten für eine dritte Amtszeit kandidieren. Die Vereinten Nationen warnten im Januar, dass 'ein völliger Zusammenbruch von Recht und Ordnung unmittelbar bevorsteht', mit Berichten über Gräueltaten wie Vergewaltigung, Verschwindenlassen und das Graben von Massengräbern. Saidi sagt, es sei sehr wichtig, dass die Fußballer in Burundi weiter spielen, da der Sport über die Politik hinausgeht und „Menschen zusammenbringt“.

Der Frauenfußballverband von Burundi wurde im Jahr 2000 gegründet und hat jetzt zwei Abteilungen. Die erste Liga hat sechs die zweite Liga 10 Mannschaften. 16 Jahre sind seither ins Land gezogen und doch scheint alles erst im Aufbruch. Der Nationale Verband, die Burundi Football Federation (FFB), plant, das Spiel der Frauen zu fördern und die Nationalkader aufzubauen. Eine Priorität für die Entwicklungsstrategie des FFB für 2015-18 ist es, einen A-Kader zum Laufen zu bringen. Die Nationalmannschaft hat noch nie ein Spiel gespielt - eine Frustration für Saidi. Finanzierungsengpässe und der Mangel an Ausrüstung haben eine Entwicklung behindert, was bedeutet, dass es nicht gelungen ist, fünf Spiele gegen Teams mit Fifa-Rang zu bestreiten, die für eine offizielle Ranglistenplatzierung erforderlich sind, welche wichtige Fördergelder brächte.

Im Dezember 2015 schloss sich Burundi dem Live Your Goals-Programm der Fifa an, einem vierjährigen Programm, mit dem Fußballerinnen ermutigt, die Qualität des Spiels verbessert und Frauen mehr Möglichkeiten auf und neben dem Spielfeld geboten werden sollen. Fußball bietet einigen Frauen einen Lebensunterhalt in einem Land, in dem es kaum Möglichkeiten gibt. Die Landwirtschaft beschäftigt 90% der Bevölkerung, aber mit einer der am schnellsten wachsenden Bevölkerungsdichten der Welt ist die Landwirtschaft eine zunehmend unhaltbare Lebensweise. Burundi belegt im UN-Index für menschliche Entwicklung 2015 den 184. Platz von 188 Ländern.

Die Frucht harter Arbeit

Saidi sagt, dass das Geld, das sie mit Fußball verdient, dazu beigetragen hat, ihr Selbstwertgefühl zu stärken. „Nach dem Tod meiner Mutter konnte mein Vater nicht arbeiten, weil er krank wurde. Ich blieb beim Fußball, um zu sehen, ob ich etwas zur Familie beitragen kann“, erinnert sie sich. Sie verdient jetzt genug, um ihren Vater und drei Geschwister zu unterstützen. Sie hat eine andere Lebensauffassung als viele ihrer Freunde, von denen einige mit 14 verheiratet waren. Vier Männer haben Saidi bereits den Hof gemacht; alle wurden abgelehnt. „Man muss sich zuerst auf sein eigenes Leben konzentrieren. Es gibt keine bestimmte Zeit für die Ehe - es ist nicht etwas, zu dem man zu spät kommen kann “, sagt sie.

Jocelyn Nyanzira, eine Freundin und Nachbarin, sagt, Fußball ermutige Frauen, das Haus zu verlassen und zu arbeiten. „Es ist großartig für Ihren Körper, fit zu werden, aber es ist auch gut für die Entwicklung des Landes“, sagt sie. Dominique Niyonzima, technischer Direktor des FFB, sagt, es habe sich inzwischen einiges getan. Die Männer ermutigen jetzt die Frauen. „Sie sehen Frauen auf der ganzen Welt Fußball spielen - in Deutschland, in Großbritannien. Es trägt viel zur Gleichberechtigung bei und hilft [einer Frau], ihr eigenes Leben zu gewinnen. Und es hilft, sie in ihre Familie zu integrieren, indem es ihrer Familie hilft, zu überleben. “

Lydia Nsekere ist ein bekannter Name unter Fußballfans in Burundi. 2012 war die ehemalige Präsidentin des FFB die erste Frau in der 100-jährigen Geschichte der Fifa, die im Exekutivkomitee saß. Auf der Jahrestagung der Kommission für Frauen im Sport des Internationalen Olympischen Komitees 2015 sagte sie, Sport sei ein wirksames Instrument, um bis 2030 eine irreversible, substanzielle Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen, wie in den Zielen für nachhaltige Entwicklung festgelegt. „Durch Sport können wir einige der größten Lektionen des Lebens in Bezug auf Gleichheit, Teamwork, Belastbarkeit und Fairness erteilen“, sagte sie. „Sportprogramme sind auch sehr erfolgreich bei der Verringerung der sozialen Isolation, insbesondere für Frauen und Mädchen in Armut, die andernfalls in ihren Gemeinden und Familien eingesperrt wären und in diesem Prozess niemals das erreichen, was sonst ihr volles Potenzial ist.“ Derzeit ist Gleichstellung für Fußballerinnen in Burundi eine entfernte Perspektive. Während des Transferfensters für Vereinsmannschaften wechseln männliche Fußballer für bis zu 900.000 BIF (580 US-Dollar), sagt Saidi, während weibliche Top-Spielerinnen für 100.000 BIF (64 US-Dollar) wechseln. Als Kind war Saidi das einzige Mädchen, das auf der staubigen Schlaglochstraße, die von ihrem Haus zur Grenze zur Demokratischen Republik Kongo führte, Fußball spielte.

Als sie 12 Jahre alt war, verdiente sie 100 Dollar, als sie nur ein Spiel für ein Team jenseits der Grenze spielte. Regelmäßige Premier League-Spiele in Burundi bringen ihr ca. 30 oder 40 US-Dollar ein. Die Gebühr hängt vom Sieg des Teams und der zurückgelegten Strecke ab. Auf die Frage, ob er Saidis Berufswahl mittlerweile gutheiße, sagt ihr 76-jähriger Vater Said Ali Akizimana mit einem Augenzwinkern: „Ich zeige Ihnen die Werkzeuge, mit denen sie uns überzeugt hat.“ Er eilt in sein Schlafzimmer und taucht mit einem breiten Grinsen und einem Arm voller Medaillen auf hell gestreiften Bändern auf. „Der Rest der Familie war dagegen“, erinnert er sich. „Wenn ein Mädchen vor fünfzehn Jahren Fußball spielte, würde man sagen, dass es eine Schande für die Familie ist. Heute ist es normal.“

Es ist 2019. Saidi ist in der Saison 2018/19 als beste Torschützin (40 Tore) in der Frauenfußballmeisterschaft von Burundi ausgezeichnet worden. Dank ihrer herausragenden Leistungen hat sie während der CECAFA 2016 in Uganda erstmals die Farben der Nationalmannschaft getragen. Nachfolgend ist sie fester Bestandteil des U20-Kaders in den Qualifikationsrunden der U20-Weltmeisterschaft geworden. Sakina über ihren Titel als Torschützenkönigin in der Meisterschaft und die Nationalmannschaft und Ihren Weg. Sie sagt, dies sei das Ergebnis harter Arbeit: „Ich bin sehr froh, dies geschafft zu haben. Um dorthin zu gelangen, musste ich viel individuelles Training an den Stränden absolvieren. Ich war auch querfeldein unterwegs. Das hat mir geholfen, während der Spiele flexibel zu sein.“ Gefragt nach ihrer Leistung angesichts ihrer Größe, gibt sie zu, dass ihre körperliche Verfassung von Vorteil ist. „Jeder ist erstaunt darüber, wie ich angesichts meiner Größe spiele. Größe hilft mir, bei Spielen und Duellen flexibel zu sein.“ „Sie ist ein hartes Mädchen. Sie gibt nicht auf, bis sie fertig ist. Sie ist geschickt und präzise in ihren Abschlüssen (Füße und Kopf). Außerdem ist sie sehr diszipliniert“, so Wilson Kwizera, ein Sportjournalist, der die Frauenfußballmeisterschaft genau verfolgt.

Sakina, Absolventin der Instandhaltungs-IT bei der ETG Nyakabiga, sagt, sie habe dank des Fußballs von mehreren Vorteilen profitiert, wie zum Beispiel der kostenlosen Bildung und sogar der Befriedigung ihrer Schule, als sie in Anerkennung ihres treuen Dienstes bei den Meisterschaften ihren Abschluss machte. Die Stürmerin, die Marta als ihr Vorbild nennt, träumt davon sich weiter zu entwickeln und ihr ganzes Potential zu entdecken. Das wünscht sie sich auch für andere Frauen und Mädchen: „Ich appelliere an andere Mädchen, Fußball zu spielen. Fußball ist nicht nur für Männer, wir können auch spielen. Hören wir auf, uns selbst zu unterschätzen, wir sind auch dazu in der Lage, wenn wir an uns glauben.“

Es ist 2020. Mittlerweile spielt die 24-jährige Stürmerin für Liga-Konkurrent PVP Buyenzi. Eine A-Nationalmannschaft Burundis sucht man in der Fifa-Weltrangliste (Stand: 27.03.2020) vergeblich, während Länder, von denen ich nie zuvor hörte, wie Comoros oder Eswatini, geführt sind. Auf der Seite des Burundischen Fußballverbandes, existieren zwar eine Trainerin, Daniella Niyibimenya, und der Hinweis „Die Frauen-Nationalmannschaft setzt sich aus einheimischen Spielern sowie aus Burundianern zusammen, die im Ausland spielen.“ Doch ein Kader oder sonstige Informationen sind dort nicht zu finden. Es besteht noch viel Arbeit im Frauenfußball-Entwicklungsland Burundi.