08.11.2021 - 10:46 Uhr | News | Quelle: dpa
Hoffenheim: Keine weiße Fahne vor Barcelona-Spielen

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©TSG Hoffenheim
Im Alltag trennen die Fußballerinnen und Fußballer der TSG 1899 Hoffenheim über 20 Kilometer. Berührungspunkte zwischen den Trainingszentren in St. Leon-Rot und Zuzenhausen: eher wenige. Wenn es für die Frauen nun aber gegen den amtierenden Champions-League-Sieger geht, da wird wohl zum ersten Mal auch der Bundesliga-Trainer der Männer vorbeischauen. «Es kann gut sein, dass ich mir das Spiel gegen den FC Barcelona anschauen werde. Ich beobachte die Entwicklung des Teams schon länger und bin immer wieder von der Professionalität und dem Ehrgeiz begeistert», sagt Sebastian Hoeneß.

Dann wird er vielleicht auch seinen Kollegen Gabor Gallai persönlich kennenlernen. Der 42-Jährige hat die Hoffenheimerinnen längst zu einem Spitzenteam geformt und in dieser Saison in die neu eingeführte Gruppenphase der Königsklasse geführt. Nach einem 5:0 gegen die Däninnen von HB Køge und einem 0:4 bei Arsenal Women FC stehen nun zwei Highlights der Clubgeschichte an: Die TSG fordert am Mittwoch zunächst in Barcelona und genau eine Woche später (jeweils 18.45 Uhr/DAZN) dann zuhause den Titelverteidiger heraus.

«Ich freue mich, dass wir gegen so einen Gegner spielen dürfen, das ist schon ein Geschenk», sagt Nicole Billa. Die Österreicherin war vergangene Saison Bundesliga-Torschützenkönigin und ist Deutschlands «Fußballerin des Jahres». Billa steht nicht nur für den Erfolg der TSG, sondern auch für die Professionalisierung des Clubs bei seinen Frauen, die fast in Schussnähe der A5 nahe des Autobahnkreuzes Walldorf trainieren. Die 25-Jährige ist eigentlich Erzieherin, arbeitet aber nur noch selten als Springerin im Kinderhort oder -garten: «Wir haben halt nur Englische Wochen, da ist kaum Zeit.»

Billa fühlt sich - abgesehen davon, dass sie «Buchteln mit Vanillesoße, eine Sacher, wie man sie richtig macht oder Zillertaler Krapfen» aus ihrer Heimat Tirol vermisst - total wohl in ihrem Wohnort Heidelberg. Dort leben auch viele Männer-Profis der TSG wie Torjäger Andrej Kramaric. Die kennt Billa von Fotoshootings oder Marketing-Aktionen: «Natürlich hat man mit dem einen oder anderen schon gequatscht.» Sie und ihre Kolleginnen nutzen auch mal die medizinischen und technischen Einrichtungen sowie die Leistungsdiagnostik in Zuzenhausen. Mit finanziert werden die TSG-Frauen über die Fußball-Spielbetriebs GmbH der Hoffenheimer.

Die 46 Frauen aus Hoffenheims Erstliga- und Zweitliga-Mannschaft sowie etwa 80 Mädchen kicken im Leistungszentrum in St. Leon-Rot, das aus dem Förderverein «Anpfiff ins Leben» von Milliardär Dietmar Hopp entstand. Das Ziel: junge Frauen ganzheitlich ausbilden. Als Ralf Zwanziger dort anfing, spielten die Frauen noch in der Landesliga. Vielen hätten ihn damals belächelt, sagt der langjährige Leiter des Mädchen- und Frauenfußballförderzentrums und Sohn des früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger. «Von Anfang an ging es immer darum, auf die Perspektive zu schauen: Wo kann's hingehen? Das war das Spannende. Die Entwicklung ist noch nicht zu Ende - und das macht nach wie vor Riesenspaß», erklärt der 48-Jährige.

Die Hoffenheimerinnen belegten vergangene Saison in der Bundesliga nicht nur den dritten Platz. Sie bringen auch immer wieder Nationalspielerinnen heraus, die aber teilweise - wie Tabea Waßmuth zum VfL Wolfsburg - abgewandert sind. Das derzeit vielleicht größte Talent hierzulande ist die gerade einmal 19 Jahre alte Stürmerin Jule Brand, die kaum noch aus der DFB-Auswahl wegzudenken ist.

«Die letzten Jahre haben wir durch unsere Erfolge auch Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen geweckt», sagt Coach Gallai, der 2020 dem langjährigen Coach Jürgen Ehrmann folgte, beim dpa-Interview in seinem Büro. «Unser Weg soll aber schon dahin gehen, dass wir den Abstand zu den Vereinen, die noch vor uns stehen, verkürzen. Damit können wir den Mädels die bestmöglichen Alternativen aufzeigen - und auch, dass sie nicht unbedingt nach Wolfsburg oder zum FC Bayern wechseln müssen.» Und wenn sie gehen, dann bestenfalls ins Ausland. Das werde nicht heute oder morgen passieren, sei aber ein mittelfristiges Ziel.

Gallai schaut sich ein Bundesliga-Spiel seiner «Mädels» oft noch zwei oder dreimal auf Video an. Sein Trainerteam ist gut aufgestellt, Rekordnationalspielerin Birgit Prinz ist sogar als Psychologin auf Honorarbasis dabei - aber einen extra Video-Analysten haben die Hoffenheimerinnen (noch) nicht. Dafür seit Neuestem einen hauptamtlichen Greenkeeper. Bei der Abwicklung der Champions League-Spiele helfen auch die Hauptamtlichen der Männer mit.

Was Gallai antreibt? «Ich trainiere eine Profimannschaft im Frauenbereich auf höchstem Niveau.» Der Ehrgeiz seiner Spielerinnen, dass sie das Maximale aus sich herausholen wollen, sei der «Antrieb, dass ich genau dasselbe den Mädels anbieten möchte.»

Die Spiele gegen Barcelona werden vielleicht Gallais größte Herausforderung. «Das Ziel ist, die K.o.-Phase zu erreichen, da sind wir noch im Rennen. Wir haben Arsenal noch zuhause. Wir werden uns vor niemand verstecken und auch nicht die weiße Fahne hissen.» Gegen den Champions-League-Sieger hofft der Trainer auf ein ausverkauftes Dietmar-Hopp-Stadion in Hoffenheim mit 3000 Zuschauern.

Ein breiteres öffentliches Interesse vermisst er natürlich wie alle Verantwortlichen in der Frauen-Bundesliga. «Man sollte den Frauen eine andere Wertschätzung entgegenbringen, sich einfach mal ein Spiel anschauen und ein eigenes Bild machen.» Dass sein Vereinskollege Sebastian Hoeneß nicht öfter bei seinem Team vorbeischaut, kann der viel beschäftigte Vater eines kleinen Jungen übrigens nur zu gut verstehen: «Das ist auch schwierig, weil jeder froh ist, wenn er mal Zeit mit der Familie verbringen kann.»

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