03.06.2025 - 14:30 Uhr | News | Quelle: Soccerdonna | von: Emilie Bitsch
„Ich glaube bis zum letzten Tag an die EM“ – Lydia Andrade über Verletzung, Comeback und dem Traum von der Heim-EM

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©IMAGO

Lydia Andrade hat in ihrer Karriere schon einige Höhen und Tiefen erlebt. Die 26-jährige Offensivspielerin wagte früh den Schritt ins Ausland, spielte in Deutschland unter anderem für den SV Meppen und RB Leipzig – und trägt nun das Trikot des 1. FC Köln. Nach einer langen Verletzung kämpft sich die Schweizer Nationalspielerin mit viel Entschlossenheit zurück. Ihr Blick geht klar nach vorn: Sie möchte noch auf dem EM-Zug einsteigen, welche in ihrem Heimatland stattfinden wird. Im Interview mit Soccerdonna spricht sie über ihre Zeit in der Schweiz und in Deutschland, ihre erste Berufung für die Nationalmannschaft mit 25 Jahren – und weshalb sie fest an ihre EM-Chance glaubt.


Soccerdonna: Lydia, bevor Du den Schritt nach Deutschland gegangen bist, war die Schweiz lange deine Heimat. Dort hast Du einige Zeit beim FC Zürich gespielt. Welche Herausforderung war es für Dich, deine Heimat zu verlassen und in ein komplett neues Land zu wechseln?


Lydia Andrade: Ich bin in der Schweiz geboren und aufgewachsen, bis ich 2022 mich dazu entschieden habe, ins Ausland zu gehen. Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich den Mut habe diesen Schritt zu gehen. Ich habe gemerkt, dass das ein guter Schritt ist, aber es war zugleich ein riesiger. Die einzige Herausforderung war, mich von meinen Freunden und meiner Familie zu trennen. Im Nachhinein war es die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Nicht nur sportlich, sondern auch menschlich, weil ich als Mensch dadurch gewachsen bin. Ich bin selbstständig geworden. Anfangs habe ich die ersten Tage und Wochen meine Familie und engen Freunde vermisst. Mein Gedanke war, dass ich jetzt im Ausland bin, meinen Traum lebe und Bundesligaerfahrung sammle. Als ich sie wieder gesehen habe, habe ich mich gefreut. Ich hatte nicht das Gefühl, wieder in die Heimat zu müssen. Es war das Gefühl von Dankbarkeit und Freude, die ich gespürt habe, dass ich diesen Schritt gewagt habe.


Soccerdonna: Wie war die Zeit für Dich damals in der Schweiz zum Vergleich mit dem Leben hier in Deutschland?


Lydia Andrade: Ich war damals noch jung und in meiner Komfortzone. Die Professionalität in der Schweiz habe ich noch nicht gesehen, denn dort musste ich nebenbei arbeiten. Deswegen war das Leben dort anders. Als ich ins Ausland gegangen bin, ist mir klar geworden, dass ich nun eine Profispielerin bin. Ich muss nicht mehr nebenbei arbeiten und ich kann meine Zeit genießen. Wenn ich morgens aufstehe, muss ich mir keine Sorgen machen, neben dem Training noch Arbeiten zu gehen. Diese Momente sehe ich als Privileg, denn es ist nicht überall möglich, Profi zu sein. Damals in der Schweiz gab es nicht diese Möglichkeit. Mittlerweile hat es sich auch dort gewandelt, zumindest bei einigen Vereinen. Wenn ich beide Zeiten vergleiche, sehe ich auch eine Entwicklung im fußballerischen und menschlichen Bereich bei mir. Für mich ist das aber auch nicht alles selbstverständlich. Ich habe mir das alles erarbeitet und sehe nun, wo ich war und wo ich jetzt stehe. Vor meinem Wechsel 2022 hätte ich niemals gedacht, dass ich an diesem Punkt bin.


Soccerdonna: In diesen drei Jahren in Deutschland ist bei Dir einiges passiert. Dein Weg hat Dich zunächst zum SV Meppen geführt, danach warst Du zwei Jahre bei RB Leipzig – und jetzt bist Du beim 1. FC Köln angekommen. Du sagtest selbst, dass Du Dich weiterentwickelt hast. In welchen Bereichen denn?


Lydia Andrade: Wenn ich den Fußball von der Schweiz und Deutschland vergleiche, würde ich sagen, dass ich mich im taktischen und physischen Bereich sehr entwickelt habe. Die Liga ist deutlich besser, aber ich kann mithalten. Auch die Entscheidungen auf dem Spielfeld fallen mir leichter. Insgesamt habe ich im fußballerischen Bereich einen Riesenschritt gemacht.


Soccerdonna: Neben deinem Wechsel ins Ausland, welcher Moment hat Dich am meisten geprägt, persönlich aber auch sportlich?


Lydia Andrade: Die Berufung zur schweizerischen Nationalmannschaft mit 25 Jahren. Das war etwas, was ich schon lange wollte. Etwas, wofür ich lange gekämpft habe und immer daran geglaubt habe. Wenn du 25 bist, so wie ich, denkst du, dass die Zeit dafür vorbei ist. Ich habe mir immer einen Kopf gemacht und mich gefragt, wann die Berufung kommt, und was muss ich noch dafür tun muss. Irgendwann habe ich es nicht mehr hinterfragt. Wenn es irgendwann kommt, dann würde ich mich sehr darüber freuen. Wenn nicht, weiß ich, dass ich alles gegeben habe. Vor einem Jahr kam eine Mail, dass ich für den nächsten Lehrgang für die Nationalmannschaft berufen werde. Das war ein sehr schöner Moment. Diese harte Arbeit, der ganze Weg und der ganze Aufwand hat sich ausgezahlt. Vor allem auch, weil ich das seit Klein auf immer geträumt habe.


Soccerdonna: Vergangenes Jahr durftest Du im Spiel gegen Aserbaidschan debütieren. Wie war es für Dich in so einem Moment für die Schweiz aufzulaufen?


Lydia Andrade: Als ich damals in den Lehrgang gegangen bin, hatte ich keine Erwartungen. Ich war froh, dass ich dabei war und schnuppern durfte. Das erste Spiel gegen die Türkei zu Hause war ich auf der Bank und meine Familie war im Stadion. Als ich die Hymne gehört habe, war das ein Wahnsinnsgefühl zu Hause vor den eigenen Fans, das war sehr besonders. Da bekam ich noch keinen Einsatz. Vor dem zweiten Spiel gegen Aserbaidschan auswärts hatte Trainerin Pia Sundhage mir gesagt, dass sie mir einige Minuten geben wird. Ich habe mit zehn bis fünfzehn Minuten gerechnet, aber als sie mir in der Halbzeitpause sagte, dass ich jetzt reinkomme, wurde ich etwas ins kalte Wasser geschmissen, da ich es nicht erwartet hatte. Ich wusste, ich habe lange dafür gearbeitet und immer davon geträumt. Jetzt musste ich zeigen, was ich draufhabe. Als ich reinkam, habe ich mich befreit gefühlt. Auch meine Mitspielerinnen haben sich alle für mich gefreut. Ich wusste, dass meine Familie in der Schweiz jetzt zu schauen und vor Stolz platzen. Für mich war es die schönste Halbzeit, die ich gespielt habe.


Soccerdonna: Hättest Du erwartet, dass Du fünf Spiele für die Schweiz bestreiten wirst?


Lydia Andrade: Um ehrlich zu sein, nein. Aber ich habe es trotzdem immer manifestiert. Ich habe immer daran geglaubt, dass ich irgendwann für die Nationalmannschaft spielen werde. Aber nicht, dass ich mittlerweile fünfmal für sie gespielt habe.


Soccerdonna: Derzeit laufen die Nations League Spiele. Du bist diesmal nicht nominiert. Wie siehst Du die Entscheidung? Hattest Du davor eine die Absprache mit dem Trainerteam?


Lydia Andrade: Derzeit stehe ich für die Spiele auf Abruf für das Team. Ich hatte keine Absprache mit dem Trainerteam, aber ich komme damit klar. Ein Punkt ist sicherlich meine viermonatige Verletzung. Diese Zeit war nicht einfach. Ich konnte zumindest die letzten vier Spiele bei Leipzig spielen, aber das reicht nicht aus. Es ist aktuell wichtig, dass ich wieder fit und gesund werde. Ich bin trotzdem immer noch ein Teil vom Team. Wenn es mich braucht, bin ich da.


Soccerdonna: Die Heim-EM in der Schweiz rückt immer näher. Auch wenn Du gerade verletzt bist: Glaubst Du daran, dass Du rechtzeitig fit wirst und Dir noch ein Platz im Kader gelingt?


Lydia Andrade: Ich glaube daran, bis zum allerletzten Tag. Man muss sich das erkämpfen. Nächste Woche ist bereits die EM-Vorbereitung und ich hoffe, dass ich dabei bin, damit ich mich zeigen kann. Ich werde alles, was in meiner Macht steht, tun. Den Rest kann ich leider nicht beeinflussen. Am Ende, wenn es reicht, würde ich mich sehr freuen. Eine Heim-EM zu spielen ist für jedes Mädchen oder für jeden Jungen ein Traum. Wenn es doch nicht reicht, dann habe ich eine neue Herausforderung mein Können noch mehr zu zeigen.


Soccerdonna: Um nochmal auf deine Zeit bei Leipzig zurückzukommen. Du hattest bereits erwähnt, dass Du aufgrund der Verletzung eine schwierige Saison hattest. Wie würdest Du trotzdem dein persönliches Fazit ziehen, wie deine Saison bei RB war?


Lydia Andrade: Schwierig. Grundsätzlich sind es gemischte Gefühle. Es war nicht die Saison, wie ich mir das vorgestellt habe, vor allem auch im Hinblick zur EM. Ich habe mir vor der Saison einiges vorgenommen und einiges konnte ich wegen der Verletzung nicht erreichen. Anfangs habe ich gut angefangen, dann kam die Verletzung und ich war weg vom Fenster. Ich war mit mir selbst beschäftigt, dass ich wieder gesund werde. Keiner wusste, wie das Ganze verlaufen wird und wie ich damit zurechtkomme. Es war somit persönlich nicht die beste Saison von mir.


Soccerdonna: Nun bist Du den nächsten Schritt gegangen und bist nach Köln gewechselt. Wie kam der Wechsel zustande und wie sehr freust Du Dich auf Köln?


Lydia Andrade: Man wusste, dass mein Vertrag im Sommer ausläuft. Dieser wurde dann von Leipzig nicht verlängert. Während meiner Verletzung habe ich bereits gemerkt, dass von Leipziger Seite nichts kommt. Mein Agent und ich haben uns die Angebote angeschaut, die ich aus dem Ausland und aus Deutschland bekommen habe. Köln hatte mich vor allem wegen Trainerin Britta Carlson am meisten überzeugt. Damals war es mir wichtig zu sehen, was meine Ziele sind. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer ist nach einer Verletzung zurückzukommen. Man fängt gefühlt von Null an. Für mich ist aber der Schritt nach Köln die optimalste und richtige, vor allem, um mehr Spielzeit zu sammeln.


Soccerdonna: Was ist jetzt, neben der EM-Nominierung dein Hauptziel? Was möchtest Du erreichen?


Lydia Andrade: Ich bin jetzt schon 26 Jahre alt. Klar, ich will noch mal Champions League spielen oder so, diesen Wunsch hat jeder. Aber aktuell ist es so, dass ich aufgrund der Verletzung, einen Schritt zurück gehen muss. Mein Ziel in Köln ist es, eine Saison gesund zu bleiben und ein paar mehr Tore zu schießen. Ich möchte der Mannschaft helfen mit meinen Qualitäten und durch meine Qualitäten die Ziele des Vereins erreichen.


Soccerdonna: Wir hatten anfangs über die Professionalität in der Schweiz gesprochen. Mittlerweile kann man sagen, dass sich diese gesteigert hat. Dies lässt sich auch auf die Medienberichterstattung über Frauenfußball zurückführen. Wie siehst Du die Entwicklung selbst in deinem Heimatland? Findest Du, es ist besser geworden oder könnte es noch besser werden, gerade durch die EM?


Lydia Andrade: Wenn ich vergleiche, wie es vor drei Jahren war und wie es jetzt ist, ist es besser geworden. Sei es, dass sie die Spiele live im Fernsehen zeigen, oder sei es, dass sie mehr Zuschauer haben. Es ist komplett anders geworden. Es ist fast wie in Deutschland, würde ich sagen. Nur ist die Schweiz ein bisschen kleiner. Ich hoffe natürlich, dass es nach der EM noch besser wird.


Soccerdonna: Zum Schluss: Wer wird die EM gewinnen?


Lydia Andrade: Ja, natürlich die Schweiz. Wenn wir schon zu Hause spielen, dann erst recht. Ich bin Schweizerin und auch wenn ich nicht mitspielen sollte, sondern in Köln vor dem Fernseher sitze und zugucke, will ich die EM gewinnen. Ich will das auch für meine Teamkolleginnen.



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