07.10.2012 - 21:00 Uhr | News | Quelle: Soccerdonna | von: Frank Sprude
«Ich hatte mir Russland gewünscht»

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Der österreichische Nationaltrainer Dominik Thalhammer hat die Chance, sich mit seinem Team erstmals sportlich für eine Europameisterschaft zu qualifizieren. In der Relegation muss aber Russland besiegt werden. Im Interview mit Frank Sprude (Paselmann) spricht der 42-Jährige über seine Vision und warum junge österreichische Spielerinnen nicht mehr ins Ausland wechseln müssen, um sich zu entwickeln.

Soccerdonna.de: Hallo Herr Thalhammer, wie viele Glückwünsche haben sie in den vergangenen Tagen bekommen?

Dominik Thalhammer: Dadurch, dass das Spiel im Fernsehen übertragen wurde, war die Aufmerksamkeit natürlich viel größer und somit auch die Anzahl der Gratulanten. Zu diesen gehörten auch Experten und Trainer aus der Männer-Fußballwelt.

Soccerdonna.de: Schildern Sie bitte einmal rückblickend die EM-Qualifikation.

Dominik Thalhammer: Wir sind schon mit dem sehr ehrgeizigen Ziel in die Qualifikation gegangen, uns für die Europameisterschaft zu qualifizieren. Hatten aber mit dem Unentschieden in Tschechien und der Niederlage in Dänemark einen holprigen Start. Zu diesem Zeitpunkt war die Mannschaft noch nicht soweit, aber im Laufe der Qualifikation nahm die Mannschaft eine gute mentale und taktische Entwicklung, wodurch sie sechs Siege in Serie geschafft hat.

Soccerdonna.de: Das Spiel gegen Dänemark war phänomenal. Wann haben Sie gewusst, dass Ihre Mannschaft da Großes schaffen kann?

Dominik Thalhammer: Diesen Eindruck gewann ich schon nach einigen Minuten, da das Team durch fünf Siege mental sehr stark aufgetreten ist, was nicht nur in der Defensive und im Pressing zu erkennen war, sondern auch im Spiel ohne Ball und der verbundenen Laufbereitschaft. Die Däninnen hatten uns wohl unterschätzt, und es erschien nicht so, dass sie soweit von uns weg sind, wie es die Rangliste vermuten lässt. Soccerdonna.de: War es dann eine Enttäuschung, weil Dänemark Portugal 2:0 geschlagen hatte und Sie in die Play-offs müssen?

Dominik Thalhammer: Nein, denn die Erwartung war eine andere. Realistisch war Dänemark auf Platz 1 zu sehen. Die Play-offs waren ja schon mit dem Sieg über Tschechien geschafft. Vielleicht ein wenig enttäuscht nur darüber, dass wir es nicht als bester Gruppenzweiter geschafft haben, aber zufrieden sind wir alle.

Soccerdonna.de: Wie haben Sie die Auslosung in Nyon erlebt? Russland ist ja schon ein harter Brocken.

Dominik Thalhammer: Man muss nehmen, was gezogen wurde. Spanien wäre ein spielstarker Gegner gewesen, der ähnlich wie das Herren-Team auftritt. Island wäre, vom Namen her, vielleicht leichter gewesen. Wenn ich ehrlich bin: Russland habe ich mir am meisten gewünscht. Ich beginne ab sofort mit den Analysen des Videomaterials.

Soccerdonna.de: Wird es nominelle und taktische Veränderungen beim Kader geben?

Dominik Thalhammer: Zu 90 Prozent steht der Kader. Es wird eventuell kleine Änderungen nach den Analysen des Videomateriales geben oder falls sich eine Spielerin noch verletzen sollte.

Soccerdonna.de: 
Wie viel Entgegenkommen erhalten Sie aus der Liga? Bekommen Sie etwas mehr Zeit, um das Team optimal vorbereiten zu können?

Dominik Thalhammer: Das Team wird ab dem 16. Oktober auf dem Trainingsplatz stehen. Bis zum 21., wenn das Spiel ausgetragen wird, werden wir die bisherigen Inhalte noch einmal vertiefen und uns auch gegnerorientiert vorbereiten. Diese Zeit sollte dafür ausreichen. Die Mannschaft wird nach dem Spiel bis zum 25. Oktober zusammen bleiben. Es waren dieses Jahr viele Freundschaftsspiele und Lehrgänge, das sollte es dann auch gewesen sein.

Soccerdonna.de: 
Sie haben mit der Spielerin Nikki Warzinger eine Team-Managerin, die in
 der Bundesliga beim USC Landhaus selbst noch aktiv ist. Hilft das bei
 der Arbeit mit den Vereinen?

Dominik Thalhammer: 

Es ist wohl sicher kein Nachteil, weil der Kontakt zu den Vereinen immer da ist. Aber grundsätzlich ist natürlich doch Berufliches von Privatem zu trennen. 




Soccerdonna.de: Sie haben mit der Nationalelf erstmals die Chance, sich sportlich 
für eine EM zu qualifizieren. Selbst den Männern blieb dieses bisher verwehrt. Welche Auswirkung hätte eine EM-Teilnahme für Österreich?

Dominik Thalhammer: 
Es wäre ein immenses Schlüsselereignis, das die weitere Entwicklung fördern würde und mit großer Sicherheit weitere Frauen für den Fußball begeistern würde. Vergleichbar ist da für mich der erste deutsche EM-Sieg 1989, welcher in Deutschland auch zu einem Boom im Frauen-Fußball führte. Wenn es passiert, nehmen wir diese Erfahrung gerne mit. Sollte es aber so sein, dass wir uns nicht qualifizieren, werden wir den eingeschlagenen Weg und die damit verbundenen Prozesse nicht ändern. Wir haben ein nationales Frauenzentrum installiert, das im August 2011 eröffnet wurde. Der Weg mit den Talenten macht Spaß und bestätigt die gute Arbeit, beispielsweise durch das gute Abschneiden beim Vierländer-Turnier der U17. Natürlich darf man das Spiel gegen Deutschland nicht überbewerten, aber an diesem Tag war es bewundernswert zu sehen, wie wir das Spiel bestimmen konnten.



Soccerdonna.de: Die FIFA-Rangliste führt Österreich als Nummer 35. Wohin geht der Weg?

Dominik Thalhammer: Wir haben eine Vision, die Bestandteil einer mittel- bzw. langfristigen Konzeption ist, nämlich die Top 20 der FIFA-Weltrangliste zu erreichen.

Soccerdonna.de: Wäre ein Scheitern in der Qualifikation auf diesem Weg eine große Enttäuschung?

Dominik Thalhammer: Nein. Das Erreichen der Play-offs war der größte Erfolg in der Geschichte des Frauenfußballs in Österreich. Russland ist ähnlich wie Dänemark absoluter Favorit, und ich glaube, dass, wenn wir eine Leistung wie gegen die Däninnen abrufen können, ein Weiterkommen möglich ist. Aber wir können sehr unbeschwert und unbelastet in dieses Spiel gehen, weil wir schon extrem viel erreicht haben. Alles, was jetzt noch kommt, ist ein Bonus und Zuschlag. Es kommt jetzt nur noch die Kür, die Pflicht haben wir erledigt, und das ist psychologisch eine gute Ausgangsposition.

Soccerdonna.de: Unabhängig von der Qualifikation: Wo steht im Moment der österreichische Frauenfußball in Europa?

Dominik Thalhammer:
 Das ist schwer zu beurteilen. Ich denke, dass wir näher an die Spitze herangerückt sind und wir an guten Tagen auch mit den großen Mannschaften mithalten oder sie sogar schlagen können.


Dank der guten Leistungen von Neulegbach bekommt Österreich einen
zusätzlichen Platz in der Champions-League-Qualifikation. Werden Liga und Nationalelf dadurch stärker?

Dominik Thalhammer:
 Natürlich begeistert es uns, dass eine weitere österreichische Mannschaft die Chance bekommt, sich International zu beweisen. Denn damit ist ja auch verbunden, dass weitere Spielerinnen internationale Erfahrungen sammeln dürfen.


Soccerdonna.de: Vereine wie LUV Graz, Spratzern und auch Wacker üben Druck auf
Neulengbach aus. Auch das dürfte Sie als Nationaltrainer freuen,
denn so wird auch die Konkurrenz um die Plätze im Nationalkader größer.

Dominik Thalhammer:
 Richtig. Die Dichte wird größer, das ist erfreulich. Das stärkt die Liga und macht sie auch attraktiver vor allem für die Zuschauer.

Soccerdonna.de: Immer mehr österreichische Frauen und Nachwuchsspielerin wechseln ins Ausland. Bestätigt das die Arbeit in Österreich?

Dominik Thalhammer: Ja, auch dieses ist eine positive Entwicklung und zeigt, dass immer mehr Talente aus Österreich kommen. Es ist wichtig für die Spielerinnen und die Nationalelf, da sie sich in Top-Ligen weiterentwickeln können. Ich komme noch einmal zurück zum nationalen Frauenzentrum: Dort werden die Spielerinnen super ausgebildet, deshalb müssen sie künftig nicht mehr schon in jungen Jahren den Weg ins Ausland wählen. Wir haben aktuell viele Mädchen, die uns weitere Freude bereiten werden.

Soccerdonna.de: Sie besitzen die UEFA-Profilizenz, sind diplomierter Nachwuchstrainer und haben Top-Spieler wie Marco Janko oder Erwin Hoffer ausgebildet. Wo ist die Auswahl an Talenten in Österreich größer – bei den Frauen oder bei den Männern?

Dominik Thalhammer:
 Die Anzahl der Mânner-Talente ist aufgrund der Dichte größer. Wenn wir es aber schaffen, mehr Frauen für unsere Sportart zu begeistern, wird sich dieses auch in der Anzahl der Talente widerspiegeln.

Soccerdonna.de: Worin unterscheidet sich das Training einer
 Frauen- und einer Männer-Mannschaft?

Dominik Thalhammer: Im Trainingsbereich gibt es keine unterschiede mehr. Vor allem im technisch taktischen sowie im mentale Bereichl unterscheidet sich das Training kaum. In keiner anderen Sportart wird die Athletik und Dynamik der Frauen so sehr mit der der Männer verglichen wie im Fußball. Ob im Skifahren, Tennis oder in der Leichtathletik – überall wird die Topleistung der Frauen respektiert und anerkannt.

Soccerdonna.de: Gibt es noch große taktische Unterschiede zwischen Damen und Herren?

Dominik Thalhammer: Nein, auch da gibt es keine Unterschiede mehr. Wenn doch, dann liegt es an den Spielern selbst. Ich denke sogar, dass die Frauen eher besser mit taktischen Vorgaben umgehen können.

Soccerdonna.de: Herr Thalhammer, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin sportlichen Erfolg.



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