08.10.2018 - 13:28 Uhr | News | Quelle: Soccerdonna | von: Dr. Frederik Petersohn
„Keine Brücken über Nacht abbrechen!“

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©1. FFC Frankfurt
1.FFC Frankfurt-U17-Bundesliga-Stürmerin Emily Kraft hat nach einer schweren Verletzung wieder Fahrt aufgenommen. Die Gernsheimerin hat mit drei Jahren angefangen Fußball zu spielen und über die Stationen SV Concordia Gernsheim und RSV Germania Pfungstadt, ging es mit 14 Jahren nach Frankfurt. Als frisch ernannte Team-Captain kann die Halb-Irin und Viertel-Steirerin „völlig schmerzfrei und komplett gesund wieder auf Torejagd gehen“ und wird bei der Schulweltmeisterschaft im Frühjahr 2019 Deutschland im Gastgeberland Serbien vertreten. Wohin der Weg denn führt? Vielleicht nach Irland? Das weiß die athletisch Hochbegabte noch nicht. Und: Die Hobby-Golferin kümmert sich „gar nicht um`s Geld.“ Soccerdonna hat über 90 Minuten in Emilys Lieblings-Eiscafé mit der Stürmerin über Fußball und auch darüber gesprochen, was der Leistungssport einer Oberstufenschülerin der Carl-von-Weinberg-Schule konkret bedeutet.
soccerdonna.de: Emily, Sie wirkten sehr nachdenklich, als wir uns vor Monaten terminlich grob zu einem Sommer-Interview verabredet haben. Jetzt sind Sie frisch, fröhlich und sehr aufgeräumt.
Emily Kraft: Ja. Ich wollte mit Ihnen nur dann sprechen, wenn ich meine schwere Verletzung überwunden und wieder Anschluss an mein Team gefunden habe.
soccerdonna.de: Mehr als das. Sie sind wieder da und überglücklich!
Emily Kraft: Ja. Ich bin super happy und kann völlig schmerzfrei und komplett gesund wieder auf Torejagd gehen. Wir haben mit der U17 den Landespokal gegen Wetzlar im Elfmeterschießen gewonnen und das einzige Feldtor meines Teams habe ich erzielt. Aber im Elfmeterschießen vergeigt. Naja. Alle anderen haben getroffen und unsere Keeperin hat gehalten. Als Team haben wir das dann gerockt.
soccerdonna.de: Und Sie sind kürzlich in Berlin deutsche Schulmeisterin geworden?
Emily Kraft: In der Tat. Und wir werden Deutschland während der Schul-WM in Serbien im kommenden Frühjahr vertreten.
Soccerdonna.de: Wie erklärt sich denn Ihre, alles in allem doch sehr schnelle Genesung?
Emily Kraft: Ich bin medizinisch wie sportlich in den besten Händen gewesen. Mein Coach, Chris Heck, hat mich sehr behutsam und mit großer Umsicht wieder an mein Leistungsvermögen herangeführt. Und das in ständigem Dialog mit den Ärzten.
soccerdonna.de: Ist es das, was ein professionelles Handeln ausmacht? Eine Verzahnung von sportlicher wie medizinischer Therapie?
Emily Kraft: Das ist sogar eine der wesentlichen Faktoren für einen nachhaltigen, sportlichen Erfolg.
soccerdonna.de: Also hat Pep Guardiola Recht, wenn er sagt, dass künftig die Ärzte ein fixer Teambestandteil sein müssen. Auch während des Trainings?
Emily Kraft: Schauen Sie! Selbst wenn die Ärzte nicht auf dem Platz sein sollten: Die Coaches müssen wissen, wie Verspannungen zu behandeln sind. Die müssen eine erste, treffende Beurteilung abgeben können. Das wird künftig über eine schnelle Rückkehr zum Leistungsoptimum entscheiden. Und Chris Heck hat das perfekt umgesetzt.
soccerdonna.de: Lassen Sie mich da einhaken. Sie spielen sowohl beim 1. FFC in Frankfurt als auch bei den Auswahlturnieren den überaus dynamischen, athletischen Part. Haben Sie Athletik über Technik gestellt und hat das die Verletzung bewirkt?
Emily Kraft: Fakt ist, dass ich eine athletische Spielerin bin. Allerdings habe ich nie übertrieben. In der Schule, aber auch im Verein, oder bei den Auswahlteams: Ein Rädchen muss ins andere greifen, denn wir Spielerinnen sind mit 14 oder 15 Jahren bereits großen Belastungen ausgesetzt.
soccerdonna.de: Und diese Belastung wird durch den Besuch der Carl-von-Weinberg-Schule ja nicht geringer. Sie wollen in drei Jahren Ihr Abitur ablegen?
Emily Kraft: Ja. Der Großteil der jungen Spielerinnen beim 1. FFC sind Absolventinnen der Weinberg-Schule oder besuchen diese noch. Schulsport ist für mich Fußballsport und gleichzeitig die erste Trainingseinheit des Tages. Dienstags, mittwochs und donnerstags sind die Kraftanteile, die athletischen Komponenten und die technischen Aspekte für unser sportliches Fortkommen entscheidend. Danach geht es auf den Trainingsplatz im Verein. Dieser Rhythmus ist mir sehr wichtig, denn im Vereinstraining sind die technischen und taktischen Übungen wichtig.
soccerdonna.de: Wird es künftig überhaupt eine Alternative zu diesem Model, Schule und Verein, geben können?
Emily Kraft: Ich denke nicht. Eine Elite-Fußball-Schule, wie die in Frankfurt, verbindet die Vermittlung von Schulstoff mit den Anforderungen an ein Profi-Leben. Alternativen zu einem solchen Konzept sehe ich nicht.
soccerdonna.de: Das Abitur ist Ihnen demnach sehr wichtig?
Emily Kraft: Ja. Ich betrachte meine Wünsche, Fußballprofi zu werden und das Abi zu packen, als gleichrangig. Ohne einen guten Schulabschluss möchte ich nicht in die Zukunft gehen. Ich betreibe beides mit derselben Intensität.
soccerdonna.de: Ihre Familie unterstützt Sie nach Kräften. Ihre Eltern haben Sie im vierten Lebensjahr Fußballspielen lassen. Bei der Concordia in Gernsheim…
Emily Kraft: … ja, aber Familie ist für mich viel weiter zu fassen als alleine Eltern und Geschwister hervorzuheben. Ich bin Halb-Irin und wir haben mit der Familie meiner Mutter eine Skype-Standleitung und sehen uns regelmäßig. Fast eine Shuttle-Verbindung haben wir. Einer meiner irischen Cousins, der als Profi in Irland gespielt hat, sah mich im Alter von 3 Jahren spielen sehen, hat mein Talent erkannt und meinen Eltern dringend angeraten mich in einen Verein zu bringen. Aber auch mein Vater und mein Großvater haben Fußball gespielt. Das Talent kommt von beiden Seiten. Und im Dezember 2005 hatte ich dann mein kleines Debüt in der Halle.
soccerdonna.de: Und Ihre Familie hat Sie dann jüngst auch durch das Tal der Verletzung geführt?
Emily Kraft: Ganz wesentlich. Mal abgesehen von meiner Verletzung. Ich habe noch keinen Führerschein und muss ständig gefahren werden. Morgens zur Schule, abends vom Training nach Hause und dann zu den Auswahlterminen. Sei es in Hessen oder zu den Lehrgängen beim DFB. Zieht die Familie da nicht mit, dann geht es einfach nicht. Die Familien von Leistungssportlern sind ja nicht zu beneiden. Die müssen lachen, wenn wir lachen, und wenn wir weinen, dann brauchen wir jede Unterstützung und jede Form von Trost. Das zehrt an den Nerven und das können und wollen auch nicht alle Eltern und Geschwister mitmachen.
soccerdonna.de: Zumal die Geschwister, die ein in Anführungszeichen normales Leben führen, nicht mit derselben Zuneigung bedacht werden? Oder nicht bedacht werden können?
Emily Kraft: Für andere sprechen kann ich nicht. Aber wenn ich wüsste, dass meine Zwillingsschwester und mein jüngerer Bruder wegen mir zu kurz kommen würden, dann hätte das sicher Konsequenzen. Diese Frage stellt sich mir aber nicht. Und dafür bin ich sehr dankbar.
soccerdonna.de: Emily, Sie geben gerade Vollgas. Auf dem Platz und auch außerhalb, wie es im Sportjournalismus oft heißt. Sie sind eine Spielerin, die nicht über einen älteren Bruder zum Fußballsport gekommen ist. Haben Sie einen Männer-Lieblingsfußballverein? Gucken Sie Männerfußball?
Emily Kraft: (lacht). Nein. Ich leiste mir den Luxus, nicht mit einem der Männer-Bundesligavereine zu fiebern. Weltmeisterschaften, Europameisterschaften … da gucke ich mal rein. Aber ohne wirkliches Interesse. Nur so zur Info. Ich bin Spielerin, kein Fan.
soccerdonna.de: A pros pos. Sie sind Spielerin und betreiben eine Sportart, die ständig unterfinanziert ist. Die händeringend nach Sponsoren sucht. Und die von potenten Geldgebern gemieden und teils sogar verlacht wird. Was macht das mit Ihnen?
Emily Kraft: Naja. Sponsoren geben einen Euro aus und zwei sollen zurückkommen. Ist doch klar. Die Wenigsten werden uns fördern, nur weil wir auf Kommando flehentlich weinen können. Und das habe ich nie gemacht.
soccerdonna.de: Sondern?
Emily Kraft: Ein Beispiel. Während eines Schulfestes meines jüngeren Bruders habe ich mit den Jungs auf dem Schulhof mitkicken wollen. Mehrheitlich wurde mein Wunsch bespöttelt, belächelt. Ich habe dann einen Fußball genommen, den hochgehalten, mit dem Kopf mir selbst Vorlagen gegeben, mich gedreht und aus dem Stand habe ich den Ball dann links oben in der Torwand versenkt. Danach war Ruhe im Karton und siehe da! Klar durfte ich dann mitspielen und die Lacher sind alle verstummt. Fakten schaffen ist besser als Jammern!
soccerdonna.de: Na, das ist ja nochmal gut gegangen …
Emily Kraft: … aber ich weiß, dass es finanziell immer schwierig für die Vereine ist. Persönlich kümmere ich mich aber noch gar nicht um`s Geld. Wie jede andere 16-Jährige im Leistungssport, bin auch ich auf meine Familie angewiesen. Ich kann aber keiner bezahlten Nebenbeschäftigung nachgehen. Wann denn auch? Sollte sich die Frage nach dem Job, Fußballprofi, stellen, dann werde ich sicher umdenken müssen. Aber das hat noch Zeit. Und jetzt werden Sie verstehen, warum ein qualifizierter Schulabschluss so wichtig für mich ist. Plan-B ziehen, das wäre dann die Alternative, wenn ich es nicht packen sollte.
soccerdonna.de: Sie sprechen es deutlich an. Frauen als Fußballprofi. Welche Entwicklung hat der Ihr Sport genommen in den letzten Jahren, die Sie überblicken können?
Emily Kraft: Es gibt ganz ohne Zweifel sehr viel mehr Aufmerksamkeit. Trotz aller Probleme. Gerade in technischer und taktischer Hinsicht hat es einen Riesenschub gegeben und der wird durch die Coaches und die Arbeit in den Schulen noch befördert. Und: Fernsehen und Internet-Fernsehen machen sehr viel mehr als früher.
soccerdonna.de: Es ist ja kein Geheimnis. Hinsichtlich der Infrastruktur setzen die Clubs in England oder Italien zurzeit wegweisend neue, europäische Standards. Sie könnten doch eigentlich spielend auf die Inseln, Großbritannien oder Irland wechseln? Das ist doch für Sie eine wichtige Option, als englisch-Muttersprachlerin?
Emily Kraft: Sicher, das ist eine Option. Und wenn Sie die USA noch hinzuzählen …
soccerdonna.de: … von Frankfurt aus haben jüngst Birte Speck und Celine Brandt ihren Weg nach Maine und Florida gefunden und spielen in den College-Ligen. Und Laura Freigang kommt von der Pennsylvania State University zum FFC nach Frankfurt…
Emily Kraft: … richtig. Und wenn Sie diese Optionen berücksichtigen, dann können Sie sich vorstellen, wie schwer mir ein Wechsel fallen würde. Jedenfalls werde ich keine Brücken über Nacht abbrechen. Ich müsste viele, viele Gespräche führen. Und: Ich bin ein echtes Ried Kind. Ohne die Kette, Gernsheim-Pfungstadt-Frankfurt, wäre ich doch gar nicht da, wo ich jetzt bin.
soccerdonna.de: …. Gernsheim-Pfungstadt-Frankfurt-Dublin … Eine tolle Verbindung!
Emily Kraft: … es ist noch nichts gebucht!
soccerdonna.de: Emily, auch wenn Ihnen kaum Freizeit vergönnt ist. Wie entspannen Sie?
Emily Kraft: Über meinen Vater bin ich als Kind sehr früh an den Golf-Sport gekommen und bin sehr gern in der Natur, spiele aber leider zu selten.
soccerdonna.de: Ist denn die Frage nach Ihrem Handicap gestattet?
Emily Kraft: Die Frage ist gestattet. Die macht aber keinen Sinn, weil ich keine Turnierspielerin bin.
soccerdonna.de: Und wieder etwas gelernt. Emily, Sie haben sich sehr viel Zeit für uns genommen. Herzlichen Dank dafür und hoffentlich auf bald. Wo auch immer!
Emily Kraft: Ich danke Ihnen.



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