30.12.2025 - 14:30 Uhr | News | Quelle: sd | von: Stefan Wallaschek
Warum der dritte Ballon d’Or für Bonmatí kein Irrtum war

-
©Liga F
„Ehre dem, dem Ehre gebührt“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe. Im modernen Fußball ist diese Frage jedoch selten eindeutig zu beantworten. Zu viele Wettbewerbe, zu viele Leistungsdaten, zu viele Narrative konkurrieren miteinander. Kaum eine Auszeichnung bündelt diese Ambivalenz so stark wie der Ballon d’Or. Obwohl der Ballon d’Or keine offizielle Auszeichnung von der FIFA oder der UEFA ist und von France Football vergeben wird – seit 2024 in Kooperation mit der UEFA –, gilt er als die prestigeträchtigste individuelle Ehrung im Fußballjahr. Entsprechend stark fallen die Debatten aus: Wer wurde übergangen? Wer überschätzt? Und warum schon wieder dieselbe Spielerin?

Warum schon wieder Bonmatí?

Aitana Bonmatí steht im Zentrum dieser Debatte. Seit drei Jahren scheint sie in jeder Wunschelf gesetzt, ist in jedem Turnier unter den Besten, in nahezu jeder Bestenliste präsent. Die 27-Jährige vom FC Barcelona hat sich in einer Weise etabliert, die fast selbstverständlich wirkt. Im September 2025 gewann sie nun zum dritten Mal in Folge den Ballon d’Or – und sofort meldeten sich die Gegenargumente: Spanien wurde nicht Europameisterin, sondern England. Barcelona gewann nicht die Champions League, sondern Arsenal. Hätten Spielerinnen wie Mariona Caldentey oder Alessia Russo diesen Preis nicht eher verdient?

Ein Jahr ohne Superlative

Ein Blick auf die nackten Zahlen scheint diese Skepsis zunächst zu stützen. Bonmatí erzielte bei der Europameisterschaft ein einziges Tor – allerdings eines von maximaler Tragweite als sie in der 113. Minute der Verlängerung des Halbfinals gegen Deutschland Spanien ins EM-Finale schoss. Trotz der Finalniederlage wurde sie zur Spielerin des Turniers gewählt. Bemerkenswert ist diese Auszeichnung auch deshalb, weil Bonmatí noch kurz vor der EM mit einer Hirnhautentzündung ausfiel und erst im dritten Gruppenspiel voll zum Einsatz kam. In der Champions League verlor Barcelona das Finale in Lissabon gegen Arsenal, dennoch wurde Bonmatí zum dritten Mal in Folge zur Spielerin des Wettbewerbs gewählt und stand bereits zum fünften Mal hintereinander im Team der UWCL-Saison. In elf Champions-League-Partien kam sie auf vier Tore und vier Assists, in der spanischen Liga auf zwölf Treffer und sechs Vorlagen. Das ist zweifellos stark – aber kein Jahr der statistischen Extreme. Genau hier beginnt jedoch das eigentliche Argument für ihre Ballon-d’Or-Auszeichnung.

Wie der Ballon d’Or vergeben wird

Seit 2024 wird der Ballon d’Or im Rahmen einer Partnerschaft zwischen der UEFA und der Groupe Amaury vergeben, der Eigentümerin von France Football und L’Équipe. Insgesamt werden Spieler:innen in acht Kategorien ausgezeichnet und die Wahl zur besten Spielerin basiert auf drei offiziellen Kriterien: individuelle Leistung und Charakter, Teamleistungen und Erfolge sowie Klasse und Fairplay. Abstimmen dürfen ausschließlich internationale Fachjournalist:innen – je ein:e Vertreter:in aus den 50 bestplatzierten Nationen der FIFA-Weltrangliste bei den Frauen. Jedes Jurymitglied vergibt Punkte an zehn Spielerinnen, von 15 Punkten für Platz eins bis zu einem Punkt für Platz zehn.

Bonmatí jenseits der Zahlen

Die Auszeichnung für Bonmatí fällt also weniger wegen ihrer Statistiken aus als wegen dessen, was sich mit Zahlen nur schwer abbilden lässt. Die 161cm große offensive Mittelfeldspielerin ist torgefährlich, ohne je egoistisch zu wirken. Ihr Spiel ist geprägt von außergewöhnlicher Spielintelligenz, von Pässen in den Raum, von präzisen Verlagerungen auf einlaufende Mitspielerinnen und damit dem entscheidenden Pass vor der eigentlichen Torvorlage. Seit 2012 ausgebildet in der berühmten Fußballakademie des FC Barcelona, La Masia, hat sie den Fußballstil aus kurzen, flachen Pässen, schnellen Entscheidungen und permanenter Bewegung sowie kollektiver Verantwortung in ihre „Fußball-DNA“ verinnerlicht, wie Xavi Hernández festhält. Sie steht wie kaum eine andere für den Begriff der „Gravity“. Sie zieht Gegenspielerinnen an, bindet ein, zwei, manchmal drei Verteidigerinnen – und öffnet dadurch Räume, die sie selbst gar nicht mehr bespielen muss. Ihre Pässe in die Tiefe sind präzise, ihre Entscheidungen fast immer richtig. Trotz ihres Tempos wirkt sie nie gehetzt, sondern kontrollierend. Diese Sicherheit überträgt sich auch auf ihr Team. Gemeinsam mit Alexia Putellas und Patri Guijarro bildet sie bei Barça wie in der spanischen Auswahl ein magisches Dreieck, das Spiele unnachahmlich strukturiert.

Spielfreude, Anerkennung und Kontrolle

Ergänzend lässt sich Bonmatís Spiel kaum treffender beschreiben als über die Freude, die sie dabei ausstrahlt. Sie wirkt nicht getrieben von der Notwendigkeit, sich selbst in den Vordergrund zu spielen, sondern von einem sichtbaren Vergnügen am gemeinsamen Lösen von Spielsituationen. Gute Pässe ihrer Mitspielerinnen quittiert sie mit Gesten der Anerkennung, gelungene Kombinationen mit Blickkontakt, kurzen Zeichen, einem Lächeln. Bonmatí spielt nicht nur für das Team, sie spielt mit ihm – und macht das für Mitspielerinnen wie Fans sichtbar. Auch ihr ehemaliger Barça-Trainer Jonatan Giráldez betont genau diesen Aspekt: „Sie ist ein Vorbild als Spielerin. Wie sie trainiert, ihre Einstellung, die Art und Weise, wie sie jeden Tag an die Dinge herangeht – sie ist einfach ein großartiges Vorbild.“ Auffällig ist dabei auch, was Bonmatí nicht tut. Sie spielt nicht, um Gegnerinnen vorzuführen. Hackentricks, Übersteiger oder Täuschungen nutzt sie nur dann, wenn sie passend und sinnvoll sind. Sie dienen der Lösung, nicht der eigenen Inszenierung oder bloßen Demütigung der Gegnerinnen.

Andere Formen von Exzellenz: Caldentey und Russo

Gleichzeitig ist die Dichte an exzellenten Spielerinnen im Fußball enorm hoch. Die Wahl von Bonmatí ist daher keine Schmälerung der Leistungen von Mariona Caldentey oder Alessia Russo, die auf den Plätzen zwei und drei landeten. Caldentey, die 2024 von Barcelona zu Arsenal wechselte, steht für eine ebenso moderne Form von fußballerischer Exzellenz, die sich durch permanente Laufbereitschaft, mannschaftsdienliches Spiel, kreative Vorlagen und eigene Torgefahr auszeichnet. In ihrer ersten Saison in England wurde sie von den Fans zur Spielerin der Saison gewählt und gewann mit Arsenal überraschend die Champions League – gegen ihren ehemaligen Klub. Alessia Russo wiederum verkörpert den klassischen Typ der kämpferischen Mittelstürmerin. Mit England und Arsenal war sie international erfolgreich, traf im EM-Finale 2025 zum Ausgleich und wurde zur englischen Fußballerin des Jahres gewählt. Ihre Präsenz bindet Abwehrspielerinnen, ihr Spiel ist physisch, direkt, entscheidend. Russo steht dabei für Tore, Durchsetzungsvermögen und dem Willen zum Sieg.

Eine Auszeichnung für das Spiel selbst

Bonmatís dritte Auszeichnung ist damit weniger eine Belohnung für ein außergewöhnliches statistisches Jahr als eine Auszeichnung für eine Spielerin, die Team-Erfolg ermöglicht, Freude am Spiel zeigt, Verantwortung übernimmt und ihr Team insgesamt besser macht. Mit ihrem Beinbruch Ende November 2025 fällt sie nun mehrere Monate aus, womit eine erneute Titelverteidigung allein aus medizinischen Gründen sehr unwahrscheinlich erscheint. Rückblickend lässt sich festhalten, dass die Auszeichnung Bonmatís vielleicht genau die zeitgemäße Antwort auf Goethes alte Frage ist. Ehre gebührt im Fußball demnach nicht immer der statistisch lautesten Saison. Manchmal gebührt sie jener Spielerin, die das Spiel selbst in den Mittelpunkt stellt – und damit alle anderen auch.

Relevante News

23.12.2025 - 14:45 Uhr
Analyse: Warum Manchester City die WSL dominiert
Aktuell steht Manchester City mit 30 Punkten souverän auf dem ersten Platz der Women’s Super League und erstmals seit 2016 scheint der Titel nicht nur mög...
weiterlesen
19.12.2025 - 15:30 Uhr
Zwischen Dominanz und Spannung: Rückblick auf UEFA Women’s Champions League
Sechs Spieltage, 54 Spiele, 181 Tore und ein klares Bild an der Spitze: Die Ligaphase der UEFA Women’s Champions League hat die europäische Hierarchie deutli...
weiterlesen
18.12.2025 - 14:30 Uhr
Bayern winkt Atlético-Wiedersehen - Wolfsburg entgeht Real
Der FC Bayern München und der VfL Wolfsburg wissen ihren weiteren Weg in der Champions League. Wolfsburg droht ein Hammer im Viertelfinale, den Münchnern ...
weiterlesen