20.04.2016 - 14:27 Uhr | News | Quelle: Soccerdonna
«Der DFB ist eine eigene Erlebniswelt»

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Bernd Schröder ist Turbine Potsdam und Turbine Potsdam ist Bernd Schröder. Kein Trainer im deutschen Fußball ist mit seinem Verein eine vergleichbar symbiotische Beziehung eingegangen wie Schröder. Seit 1971 sagt der heute 73-Jährige, wo es beim Bundesligisten aus Brandenburg langgeht. Schröder hat Turbine groß gemacht – und umgekehrt. Verein und Trainer scheinen auf existenzielle Weise voneinander abhängig zu sein. Doch am Saisonende ist Schluss, Verein und Trainer trennen sie sich: Was wird dann aus Schröder, was aus Turbine?

Im Interview mit Christoph Mulitze sagt der als eigenwillig geltende Erfolgstrainer, warum er jetzt aufhört, warum der Sender Eurosport dem Frauenfußball nicht gut tut und was er von der künftigen Bundestrainerin Steffi Jones hält.

Soccerdonna.de: Hallo Herr Schröder, in dieser – Ihrer letzten – Saison läuft es gar nicht gut für Turbine Potsdam. Wie erklären Sie sich das schwache Abschneiden?

Bernd Schröder: Dafür gibt es mehrere Ursachen, die ineinander greifen. Wir hatten zu Saisonbeginn eine Mannschaft, die zurecht den Anspruch hatte, vorne mitzumischen. Was dann aber passierte, habe ich in 45 Jahren noch nicht erlebt. Zeitweise hatten wir nur acht Spielerinnen beim Training. Bis zu 14 Spielerinnen fielen verletzt aus. Wir mussten immer wieder umstellen, so kam nie eine Harmonie in die Mannschaft. Und wenn du dann Spiele verlierst, setzt eine Eigendynamik ein.

Soccerdonna.de: Sie beklagten auch mal die fehlenden Führungsspielerinnen.

Bernd Schröder: Ja, das ist auch ein Problem, das mit den vielen Verletzungen zusammenhängt. Eine Johanna Elsig zum Beispiel fällt die gesamte Saison mit einem Kreuzbandriss aus. Wir mussten immer wieder junge Spielerinnen bringen, die zwar das Zeug für die Bundesliga haben, aber ihre Leistung noch nicht kontinuierlich bringen können. Wir haben tolle Spiele gezeigt wie beim 5:2-Sieg in Wolfsburg. Nur konnten wir dieses Niveau nicht dauerhaft halten.

Soccerdonna.de: Trotz einiger Überraschungen wie etwa Sand erleben wir insgesamt eine merkwürdige, fast schon langweilige Saison. Schon im Winter stand recht sicher der Meister fest. Warum gab es den Alleingang der Bayern an der Tabellenspitze?

Bernd Schröder: Es war schon 2009 zu erkennen, dass sich in München etwas Großes entwickelt. Die Bayern waren nur wegen des um ein Tor schlechteren Torverhältnisses Vizemeister hinter uns geworden, und ich hatte zum damaligen Trainer Günther Wörle (Anm. der Red.: Vorgänger und Vater des derzeitigen Trainers) gesagt: Wenn Ihr mal einen Titel holt, entwickelt sich das von allein, dann hebt der Erfolg die Mannschaft auf ein Podium. Das Gefüge des Teams stimmt einfach. Es gibt dort sehr wertvolle, aber keine überragende Spielerin, deren Ausfall nicht zu kompensieren wäre.

Soccerdonna.de: Übersehen Sie da nicht etwas die Schwäche der Konkurrenz? Mit der aktuellen Punktausbeute wäre der aktuelle Tabellenzweite Wolfsburg in früheren Spielzeiten nur Vierter oder Fünfter gewesen.

Bernd Schröder: Richtig. Ich will die Bayern nicht überhöhen. Sie sind stark, aber ihre Überlegenheit resultiert auch aus der unerwarteten Schwäche der Verfolger.

Soccerdonna.de: Haben es klassische Frauenvereine künftig schwer, den Anschluss zu halten, wenn Lizenzvereine wie Bayern, Wolfsburg und Hoffenheim Ernst machen und Geld in die Frauenabteilungen stecken?

Bernd Schröder: Da gibt es auch andere Beispiele: Angefangen vom Hamburger SV vor einigen Jahren über Bayer Leverkusen, den 1.FC Köln bis Werder Bremen, die in dieser Saison ganz hinten stehen. Natürlich haben Lizenzvereine bessere Strukturen, das ist ein großer Vorteil. Aber es liegt an Vereinen wie FFC Frankfurt oder Turbine Potsdam, die Mischung zu erhalten – mit Herz und Leidenschaft, aber auch mit finanzieller Unterstützung. Ohne die geht es nicht. Mit dem FFC Heike Rheine wird gerade wieder ein traditionsreicher Frauenverein aufgelöst.

Soccerdonna.de: Was müssen die traditionellen Frauenvereine denn konkret tun, um zu überleben?

Bernd Schröder: Der Nachwuchsbereich ist wichtig, ist aber ein großes Problem. Dort muss insgesamt mehr passieren. Wir stoßen im Moment mit unserem Potenzial an eine Grenze, es wachsen nicht mehr automatisch die guten Spielerinnen nach. Die anderen Nationen haben da aufgeholt. Gleichzeitig müssen wir aufpassen, dass die jungen Spielerinnen nicht mit Beratern kommen und viel Geld verlangen.

Soccerdonna.de: Das ist eine skeptische Zukunftsbeschreibung.

Bernd Schröder: Ich war immer kritisch und habe meine Finger in die Wunden gelegt. Viele wollen das nicht hören. Wir haben in der Bundesliga keinen Boom, auch wenn das immer geschrieben wird. Davon wird es nicht richtiger. Wenn Eurosport mal wieder meint, ein Bundesligaspiel übertragen zu wollen, werden die Spiele auf zuschauerunfreundliche Anstoßzeiten verlegt. Turbine macht da nicht mit, ich lehne diese Anstoßzeiten ab. Das können sich nur Vereine leisten, die ohnehin nicht viele Zuschauer haben. Die Zuschauer in den Stadien sind aber das Entscheidende. Wir dürfen den Frauenfußball nicht in Sphären heben, wo er nicht hingehört.

Soccerdonna.de: Haben Sie es in dieser Saison bereut, nicht schon früher den Stab weitergereicht zu haben?

Bernd Schröder: Mir war es wichtig, ordentliche Vereinsstrukturen zu hinterlassen. Ich wollte nicht ein Schiff verlassen, dass in unruhigem Wasser fährt. Deshalb habe ich den vergangenen Jahren Strukturen aufgebaut, die es so noch nie gab. Ich hatte noch nie so viele Trainer um mich herum wie in dieser Saison.

Soccerdonna.de: Bernd Schröder entscheidet nicht mehr alleine?

Bernd Schröder: Ich hatte immer das letzte Wort. In den vergangenen zwei Jahren habe ich die Demokratie bei Turbine eingeführt. Es entscheidet nicht mehr der Schröder alleine. Es ist wirklich absurd: Wir haben jetzt ein super Umfeld, aber sportlich stehen wir nicht gut da.

Soccerdonna.de: Schauen wir mal zurück: Sie trainieren seit 1971, mit fünfjähriger Unterbrechung, Turbine Potsdam – zuerst die Sektion für Frauenfußball in der Betriebssportgruppe, später dann den 1.FFC, der daraus hervorgegangen ist. Erinnern Sie sich noch daran, wie Sie damals Trainer wurden?

Bernd Schröder: Ja, natürlich. Es gab einen Aushang am Schwarzen Brett des Unternehmens, dass Spielerinnen für die neu gegründete Frauenfußball-Sektion in der Betriebssportgruppe gesucht werden. 40 Frauen hatten sich gemeldet, viel mehr als erwartet. Ich wurde gefragt, ob ich die Frauen trainieren wolle, und weil ich damals Zeit hatte, übernahm ich das. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, dass daraus 45 Jahre werden würden und die Turbine mal der kontinuierlich erfolgreichste Frauenfußballverein der Welt werden würde.

Soccerdonna.de: Während in der Bundesrepublik der Frauenfußball seit den 1950-Jahren bis 1970 verboten war, stand die DDR für gesellschaftliche Gleichberechtigung von Mann und Frau. Inwiefern spiegelte sich das auch im Frauenfußball wider, welchen Stellenwert hatte der Frauenfußball in der DDR?

Bernd Schröder: Der Frauenfußball war in der DDR nie verboten, wurde aber auch nicht gefördert. Das Hauptaugenmerk lag auf den olympischen Sportarten, und dazu gehörte damals der Frauenfußball noch nicht. Das kam erst später, nach der Wende. Wir wurden allerdings nicht daran gehindert, kreativ zu sein, um den Frauenfußball weiterzuentwickeln. In Maßen! Ich wollte den Frauenfußball immer als Leistungssport, aber das war verpönt. Man hatte Angst, dass wir im Handball wildern und talentierte Mädchen dort abwerben könnten. Denn im Handball – auch bei den Frauen – waren wir auf Weltniveau. Handball besaß als olympische Sportart ein höheres Renommee.

Soccerdonna.de: War das auch der Grund, weshalb in der DDR erst sehr spät, im Sommer 1989, eine Frauenfußball-Nationalmannschaft gegründet wurde, deren Trainer Sie auch waren?

Bernd Schröder: Ja, aber die Gründung hätte man sich schenken können, sie war ohne Sinn und Verstand. Der bevorstehende Umbruch war überall in der Gesellschaft schon zu spüren, und niemand wusste, wie es mit unserem Land weitergeht. Zu dieser Zeit hat sich niemand mehr für Sport interessiert.

Soccerdonna.de: Im Jahr 1990 kam es zur Wiedervereinigung. Wie haben Sie damals die Zusammenführung des Frauenfußballs der DDR und der Bundesrepublik erlebt?

Bernd Schröder: Das war schwierig für uns. Ich hatte das damals mitverhandelt, und es war schnell zu merken, dass sich beim DFB niemand für den Frauenfußball in der DDR interessierte. Wir wurden auch gar nicht ernst genommen. Es war wie bei der gesamten Wiedervereinigung: Wir hatten nichts zu bieten. So kam es, dass nur zwei Ostvereine in der damals zweigestaffelten Bundesliga aufgenommen wurden: der USV Jena und der FC Erzgebirge Aue.

Soccerdonna.de: Sie sind mit zwölf Meistertiteln, drei Pokalsiegen und zwei Europapokalsiegen der mit Abstand erfolgreichste Trainer im deutschen Frauenfußball. Hat es Sie nie gereizt, in den Männerfußball zu wechseln?

Bernd Schröder: Nö. Es gab zwar Anfragen nach der Wende von Ostvereinen, aber ich wollte das nicht. Ich bin Diplom-Ingenieur und hatte meinen Beruf. Ich wusste ja, wie es im Männerfußball zugeht: Alle zwei, drei Jahre wechseln die Trainer dort ihren Job. Das ist nicht meins. Dafür hatte ich nicht acht Jahre studiert. Außerdem gibt es im Männerfußball noch mehr Scheinheiligkeit als im Frauenfußball.

Soccerdonna.de: Sie haben unzählige Talente geformt und zu Top-Spielerinnen ausgebildet. Wissen Sie, wie viele von ihnen zu Nationalspielerinnen geworden sind?

Bernd Schröder: Ja, 20.

Soccerdonna.de: Wer war die perfekteste Spielerin, die Sie je trainiert haben?

Bernd Schröder: Fußballerisch und vom Kopf her war das wohl Nadine Keßler. Sie konnte alles spielen.

Soccerdonna.de: Gab es in all den Jahrzehnten eine Lieblingsspielerin, zu der Sie einen dauerhaften, persönlich besonders engen Draht hatten oder noch haben?

Bernd Schröder: Ich habe noch zu vielen ehemaligen Spielerinnen einen sehr guten Kontakt und mich immer bemüht, niemanden hervorzuheben. Ariane Hingst hat mal gesagt, Potsdam habe nicht die besten Spielerinnen, aber die beste Mannschaft. Und von Steffi Jones stammt der Satz: In Potsdam ist die Mannschaft der Star.

Soccerdonna.de: Wie lange brauchen Sie, um zu erkennen, ob eine Spielerin die Voraussetzungen für die Bundesliga besitzt?

Bernd Schröder: Bei den physischen Voraussetzungen eine halbe Stunde. Länger brauchst du mit einem geschulten Auge nicht, um zu sehen, ob eine Grund- und Handlungsschnelligkeit vorhanden ist und die Koordination stimmt. Eine Einschätzung der charakterlichen Eignung dauert natürlich länger, auch die muss vorhanden sein.

Soccerdonna.de: Sprechen wir noch kurz über die Nationalmannschaft. Im Sommer wird es einen Wechsel im Traineramt geben. Steffi Jones rückt an die Stelle von Silvia Neid. Viele haben diese Personalie nicht verstanden. Können Sie sie mir erklären?

Bernd Schröder: Es wurde eine Frau zur Bundestrainerin gemacht, die im Frauenfußball zu Hause ist und sich dort gut auskennt. Ich bin mit Steffi Jones gut befreundet, habe die Entscheidung aber auch nicht verstanden. Das Urteil muss ich jetzt etwas revidieren, weil mit Markus Högner ein guter, erfahrender Mann aus der Bundesliga als Co-Trainer hinzu geholt wurde. Vielleicht hat man da ja auf mich gehört. Auf jeden Fall halte ich Steffi Jones für flexibler und kreativer als Silvia Neid.

Soccerdonna.de: Hätte man nicht besser Markus Högner direkt zum Bundestrainer gemacht?

Bernd Schröder: Der DFB ist eine eigene Erlebniswelt. Jeder von außen hätte es da schwer.

Soccerdonna.de: Apropos Nachfolge: Matthias Rudolph wird Sie in Potsdam beerben. Werden Sie sich komplett zurückziehen?

Bernd Schröder: Ja, komplett. Schluss ist Schluss.

Soccerdonna.de: Was werden Sie denn machen, wie müssen wir uns den künftigen Fußball-Rentner Bernd Schröder vorstellen?

Bernd Schröder: Ich werde mich nicht langweilen. Erstmal schreibe ich Geschichten für ein Buch über meine Erlebnisse aus den 45 Jahren. Ich will noch nichts verraten, aber: Da kommt viel Interessantes zusammen.

Soccerdonna.de: Danke für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.

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